Verstummen

Manchmal möchte ich verstummen angesichts der Wortkriege, die sich in die Welt verbreiten. Manchmal könnte ich heulen, wenn ich sehe, mit welcher Freude ein paar Idioten in den sozialen Medien zündeln und Flächenbrände auslösen. Manchmal bin ich fassungslos wütend, wie wir uns mitragen lassen von den shitstorms, die sich vollkommen destruktiv in unsere Gehirne ergießen.

Ja, manchmal möchte ich verstummen, mal nichts sagen, keine Worte finden. Der Frühling beginnt, und die Natur – auch unsere – spricht ihre eigene Sprache. Sie ist gerade jetzt voller Zuversicht, Aufbruch, Wohlwollen, Erblühen, Leichtigkeit, beschwingter Töne, Miteinander wachsen und sich am Wiedererwachen freuen. So viele Bilder, die aufsteigen und geteilt werden wollen. Soviele Worte, die die Kraft haben, Brücken zu bauen.

Frei-Raum

Die jungen Musiker, die im Grüngürtel locker leichten Jazz spielten, der Obdachlose, der von einem Straßenjongleur so begeistert war, dass er ihm ein paar Cent gab, die Baumfreundin, die die alte Esche besuchte, berührten gestern an einem Tag strahlenden Sonnenscheins mein Herz. Heute sind die Wiesen menschenleer, der Himmel ist grau, es regnet in Strömen. Ich gehe mit dem Sein in seinem stetigen Wandel. Das kommunikative Rotkehlchen vor meinem Fenster singt unverdrossen weiter und doch immer wieder anders seine Frühlingslieder und unterhält sich auch mit den Krähen aus der Nachbarschaft. Die kleinen Momente zu ehren und dafür zu danken, ist ein gutes Mittel, dem Leben und mir Frei-Raum zu geben.

Die US-amerikanische Psychotherapeutin Virginia Satir hat einmal „Fünf Freiheiten“ formuliert, die wir auch in diesen Zeiten der Beschränkungen leben und ausprobieren können:

Die Freiheit zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich ist – anstatt das, was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird.

Die Freiheit, das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke – und nicht das, was von mit erwartet wird.

Die Freiheit, zu meinen Gefühlen zu stehen – und nicht etwas anderes vorzutäuschen.

Die Freiheit, um das zu bitten, was ich brauche – anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten.

Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen – anstatt immer nur auf Nummer sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen.

Das Abenteuer Zuhause

Die ersten Krokusse vor der Haustür entdecken

Die Kraniche ziehen weit oben am Himmel in beeindruckenden Formationen gen Norden. Ihre Rufe locken mich seit Tagen ans Fenster. Wehmütig schicke ich ihnen einen frühen Frühlingsgruß hinauf. Ein paar Etagen tiefer zwitschert mir ein Meisen-Pärchen ins Ohr. Auch sie wollen beachtet werden, ganz besonders sie. Während die Kraniche nur für kurze Momente zu meiner Alltagswelt gehören, werden mich die Meisen durchs Jahr begleiten. Sie sind Teil des Ortes, an dem ich heimisch sein will. Also gehe ich hier auf Reise und Spurensuche, entdecke die Krokusse und die Schneeglöckchen, höre das Gras im Park wachsen, sauge bald das zarte Grün mit den Augen und die ersten Blütendüfte mit der Nase auf, beobachte die Tauben, die sich im hauseigenen Efeu ein Nest bauen und freue mich über die frisch gepflanzten Hyazinthen der Nachbarin.

„Es genügt nicht allein, ,die Natur zu lieben‘ oder ,in Harmonie mit Gaia leben‘ zu wollen. Unsere Beziehung zur natürlichen Welt findet an einem Ort statt, und sie muss auf Information und Erfahrung begründet sein“, schrieb Gary Snyder in seinem Buch „Lektionen der Wildnis“. Für indigene Völker war und ist die Verbundenheit mit einem Ort selbstverständlich, ja sinngebend. Ohne diese Verwurzelung verliert für sie das Leben an Bedeutung und Orientierung.

Vielleicht willst auch du dich jetzt mit den Tieren, Pflanzen, Menschen, Steinen, Böden, Winden, Wassern… deiner Umgebung vertrauter machen. Das kannst du ganz einfach bei Spaziergängen tun. Schau mit offenen Augen und offenem Herzen, wer und was dir begegnet, wer hier außer dir noch zuhause ist.

Susanne Fischer-Rizzi hat ein schönes Buch geschrieben über die Möglichkeiten des Wieder-Heimisch-Werdens. „Das Geheimnis deines Ortes“ heißt es.

Die Kraniche auf ihrem Weg nach Norden vorbeiziehen sehen

Den Wandel zaubern

Träume zerplatzen wie Seifenblasen… Mit einer kleinen Explosion verbreitet sich die freudige Energie, die wir hineingegeben haben, in die Welt. Mit den großen Augen des Kindes in uns schauend, wissen wir: Der Zauber lebt von der Transformation.

Die Perspektive wechseln, öffnet den Blick für den Wandel.

Die Närrin feiert Karneval

Utensilien für den Gestaltwandel

Karneval fällt aus! Was?, faucht die Närrin. Mit wehendem Lappenrock und rasselnder Kappe tanzt sie vor mir. Ausgerechnet jetzt willst du vergessen, dass du wild, frei und schamlos sein kannst, dass du aus dem großen Farbkessel der Verwandlungskunst schöpfen kannst, in dieser Zeit, in der das kreative Chaos regiert? So hole ich also meine Kostüme hervor, will werden zur Hexe, die ausgelassen zwischen den Welten tanzt, zum Eichhörnchen, das zwischen Himmel und Erde springt, zu meinem verrückten Ich, das sich keine Grenzen setzt. Pfeif auf die klugen Sprüche, lache über die ängstlichen Bedenken, vergiss die finsteren Prophezeiungen, ab Weiberfastnacht gilt das Gesetz der Närrin. Mit ihrer Kraft kannst du dich ausprobieren, jenseits einschränkender Vorstellungen.

Die Närrin verbindet uns spielerisch und leicht, auch ohne dass wir es merken, mit dem großen Ganzen. An der Schwelle zur wieder erwachenden Natur erinnert sie uns an eine Zeit der übersprudelnden Fülle ohne Furcht und Zweifel, ganz im Vertrauen und ruft dir zu: Trau dich, tanze, singe – auch wenn du allein sein und auf Abstand bleiben willst. Sei lichtvoll und lebendig!

Was bei all dem bierseligen Schunkeln, den Jecken in Parade-Uniformen und dem steifen Sitzungskarneval aus dem Blick gerät: An Weiberfastnacht holen sich die Frauen die Macht zurück. Im Ursprung feiern wir an den tollen Tagen Mutter Erde, ihre und unsere Natur, schöpferisch, versorgend, erschaffend, sinnlich, nährend, liebend, verwandelnd.

Weiberfastnacht und die folgenden Karnevalstage sind dieses Jahr getragen von einer besonderen Zeitqualität. Am Donnerstag ist Neumondin im Wassermann. Du kannst dich also wirklich wie die Närrin der Leere mit allen darin enthaltenen Möglichkeiten hingeben, der Weisheit des Anfangs erinnern und deiner Vision jeden erdenklichen Raum geben. Mit der wiederkehrenden Mondsichel werden sich deine Träume in winzigen Lichtfunken auf der Erde verbreiten. Und Brigid, die Göttin der Inspiration, schickt dich in den bald beginnenden Frühling, um mit deiner Vision die Samen der Veränderung zu setzen.

Achtung

Februar-Hochwasser

Das Wasser schwappt sanft über die Uferkante, umspielt meine Schuhe, rollt zurück. Ich blicke hinaus auf den angeschwollenen Rhein und halte den Atem an. Gewaltig in seiner absichtslosen Macht liegt der Fluss vor mir. Die Kronen der sonst großen Promenaden-Bäume schwimmen unbewegt und klein in den ruhigen Wellen. Weiß-rote Bänder sind gespannt, um die Bewegungen der Menschen zu kontrollieren. Achtung Hochwasser. Achtung Natur. Achtung Leben.

Traum und Wirklichkeit

Traumwandlerisch den eigenen Weg finden … Naiver Tropf stürzt gleich übel ab … Sich vertrauensvoll führen lassen … Die Augen verschließen vor dem, was ist … Der Aufstieg steht kurz bevor … Blind ins Unglück laufen … Eine witzige Installation auf einem Hausdach … Ein und dasselbe reale Bild kann für viele Wirklichkeiten stehen. Welche ist deine?

Den Boden bewegen

„Die größte Kraft ist deine Fantasie“

„Unter dem Pflaster liegt der Strand“, heißt ein Lied aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Wenn ich über den Asphalt der Stadt gehe, ist es mir manchmal so, als ob ich federnd versinkend auf Sand gehen würde, als ob der Boden mich und ich den Boden bewegte. Die fein zerriebenen Steine, die zermahlenen, zerkauten, zertretenen Blätter, Blüten, Samen und Zweige, die toten Tiere, von kleinen Lebewesen gewandelt und zu Humus geworden, kitzeln meine Fußsohlen und schwingen durch meinen Körper. Weil ich Erde bin, kann ich die Erde überall spüren – auch ohne die hinderlichen Pflastersteine gleich aus dem Sand reißen zu müssen.

*Das Lied, immer aktuell, stammt von der Frauengruppe „Schneewittchen“. Angi Domdey, die es geschrieben hat, nannte es ein „Emanzipationslied nicht nur für Frauen“.

Fühlen

In die Ruhe und Geborgenheit der Höhle scheint Licht.

Verheddert im wirren Zahlen-Netz,

versinkend im unverdaulichen Fakten-Salat,

verliere ich meine Kraft,

fällt es mir schwer zu atmen,

lähmt mich meine Wut.

Ich verstehe nichts.

Ich kann nichts erklären,

obwohl ich es doch können müsste

in dieser Welt des Beherrschens.

Verwoben im Netz der abenteuerlichen Vielfalt,

getragen vom Meer der reinen Empfindungen,

finde ich meine Macht,

kann ich frei atmen,

bewegt mich meine Freude.

Ich verstehe alles.

Ich kann fühlen,

weil ich nichts erklären können muss

in dieser Welt des Seins.

Oma-Wissen

Purpurnes Leuchten im Wintergrau

Das Alpenveilchen mochte ich nicht. Auf der Fensterbank hinter Spitzengardinen neben der Eichenschrankwand platziert, war es der Inbegriff der Spießigkeit für mich. Dann kaufte ich einer alten Blumenfrau aus unerfindlichen Gründen ein Exemplar ab. Es steht draußen und beginnt zu blühen, wenn sonst nichts mehr wachsen will. Die herzförmigen Blätter und die fast außerirdisch purpur leuchtenden Blüten erfreuen mich schon den zweiten Winter. Am Ende des ersten wollte ich die Pflanze entsorgen. Doch sie ließ sich nicht aus dem Blumenkasten nehmen. Nun bleibt sie, bis sie selbst gehen will und lehrt mich vorurteilslose Achtsamkeit.

Jetzt weiß ich, warum sich die Pflanze nicht einfach ausreißen lässt. Saubrot wird sie auch genannt, weil Wildschweine die Knolle mögen. Für die Schweine ist die Pflanze ungiftig, für uns Menschen schon in kleinen Mengen tödlich. Das liegt an den enthaltenen Saponinen, die gering dosiert große Heilwirkung besitzen. In homöopatischer Verdünnung werden sie bei starken Kopfschmerzen, Migräne, Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt. Es ist kein Wunder, dass meine Omas das Alpenveilchen liebten. Es ist eine Frauenpflanze, eine große Helferin bei Beschwerden rund um die Menstruation. Mir hilft sie, ein einschränkendes Denkmuster zu erkennen. Spießig ist das Alpenveilchen beileibe nicht.