Schwalben-Flugschule

Ein Schwarm Schwalben flitzt in den blauen Himmel des Bergpanorama-Bildes vor uns, wogt kurz nach links und nach rechts mit einem flinken Schlenker nach unten, um sich schließlich im Wipfel der Haus-Birke niederzulassen. Plötzlich, im Chor zwitschernd, fliegen die Vögel vereint in einer geheimnisvoll wilden Ordnung wieder aus unserem Gesichtsfeld. Gibt’s da was zu essen in dem Baum?, fragen wir die Alpbäuerin. Nein, antwortet die lachend, das sei der Schwalben-Kindergarten, die Flugschule. Die Jungen lernten, wie die bald anstehende große Reise in den Süden zu meistern sei. Vielleicht treffe sich auf den schlanken Ästen der Birke auch der Schwalben-Ältestenrat, witzelt eine von uns. Die Bäuerin schüttelt den Kopf. Die Alten tagten gerade auf dem Dach der Scheune.

In diesem Tal in den Alpen gelten abstrakte Regeln nur bedingt, die ungeschriebenen Gesetze werden von allen Bewohnerinnen und Bewohnern gemeinsam ausgehandelt. Oder stehen einfach fest. Nur im Miteinander kann sich der Mensch hier für ein paar Monate im Jahr aufhalten. Die Kühe entziehen sich an diesem Ort bei allen Nützlichkeits-Erwägungen der Besitzer auf ihre Art dem Schicksal bloßer Milchproduktionsmaschinen. Das für die Nacht im Stall angebotene Heu bleibt schon mal liegen, wenn es nicht nach ihrem Geschmack ist.

Da mögen manche einwenden, die Städterin neige dazu, das Sein auf den Sennalpen zu romantisieren. Harte Arbeit sei’s, unter oft widrigen Bedingungen, mit einfachen Mitteln. Ohne Frage, doch was soll schlecht daran sein, so für ihren und seinen Lebensunterhalt zu sorgen? Außerhalb des klimatisierten Büros, selbstverständlich verbunden mit allem was ist um eine herum und im direkten Erkennen des Sinns der eigenen Arbeit?

Die Bäuerin will nichts beurteilen. Ihre Kinder haben sich nach dem Großwerden in zwei Zuhause – einem auf der Alp und einem im Dorf – für andere Berufe entschieden. Die Bäuerin mag das Leben oben und bleibt auch dieses Jahr, bis die Erde unter Frost und Schnee zu ruhen beginnt. Dann, sagt sie, haben Menschen hier nichts mehr zu suchen. Jetzt pflanzt sie vor der Kapelle nahe des Hofes neue Blumen in die Kübel. Die Ziegen hatten einen besonderen Leckerbissen ausgemacht. Die Fenster des Kirchleins sind Tag und Nacht schräg geöffnet. Für die Schwalben, die über dem Altarbild ihr Nest gebaut haben.

Wilde Früchte des Waldes

Heidelbeer-Genuss pur

Die Welt ist bunt, voller faszinierender Farben. Eine davon ist die der wilden Heidelbeeren, mit deren Saft ich beim Sammeln die Hände in blau-rote Töne tauche. Zwischen den Büschen auf dem feuchten, Moos bedeckten Erdboden stehend, lasse ich die Beeren in meinen Mund perlen und fühle mich verbunden mit der Kraft der unbeschwerten Natur. Nichts ist schwarz oder weiß. Ich schließe die Augen, um mich ganz dem Geschmack der Früchte des Waldes zu überlassen. Goldene Lichtfunken tanzen hinter meinen Lidern durch die Dunkelheit.

Geh den Weg in Schönheit

Es gibt eine Legende über einen kleinen grauen Schwan, der sich dem spiraligen Strudel des Schwarzen Lochs hingibt, jenseits der Sinnestäuschungen die Wunder des Universums erkennt und als stolzer weißer Schwan voller Grazie und Anmut wiederkehrt. Weil er sich vertrauensvoll hat fallen lassen, bekam er Zugang zu allen Ebenen des (Bewusst-)Seins. Weil er seinem Impuls gefolgt ist, erlangte er innere Schönheit. Strahlend und in Selbstgewissheit gleitete er fortan über das Wasser des Lebens.

Sommersonnwende

Das Johanniskraut speichert das Sommersonnenlicht

Die Fülle stößt auf die Angst
und will sie behutsam in den Arm nehmen.
Die Angst will nicht gekuschelt werden.
Die Fülle geht auf Abstand.
Und bleibt. Weil sie ist.

Die Leidenschaft trifft auf die Traurigkeit
und will sie zum Tanzen bringen.
Die Traurigkeit will ihre Ruhe.
Die Leidenschaft geht auf Abstand.
Und bleibt. Weil sie gebraucht wird.

Berührbar

Alles an der Linde ist gut und schön, weich und süß. Sie ist der Baum des Glücks und des Wohlergehens. Sie verwöhnt die, die bei ihr weilen und steckt sie an mit ihrer grenzenlosen Liebe. Wer das Kämpfen gelernt hat, das Leisten und das Konkurrieren, dem können die schwülstigen Lobeshymnen auf diesen edlen Baum ziemlich auf die Nerven gehen. Doch ein Spaziergang an einem warmen Frühsommertag entlang einer Lindenallee, der betörende Duft des überfließenden Nektars in den Blüten, das Summen unzählbarer Bienen und das Spiel des überirdisch reinen Lichts mit den herzförmigen Blättern haben die Kraft, die härtesten Panzer zu schmelzen.

Die Sage um Siegfried, der den Lindwurm, den nährenden, schützenden Erddrachen tötet, um Unsterblichkeit zu erlangen, beschreibt die Qualität der Linde. Als Siegfried im Blut des Drachens badet, fällt ihm ein Lindenblatt zwischen die Schulterblätter. Damit behält der Held eine verwundbare Stelle. Er bleibt berührbar für die Liebe und verletzlich, was ihm die Sterblichkeit bewahrt und ihn einbindet in den Zyklus des Lebens.

Die Linde ist wie der Holunder mit der großen Göttin verbunden – mit der Holle, Freya, Aphrodite, Venus, die die Menschen lehrten, das Leben liebend zu leben. Der mächtige Baum mit seiner ausladenden Krone wurde immer als Versammlungsort geschätzt. Er war Richtstätte, da er sanft, doch klar die Wahrheit ans Licht zu bringen vermochte, er war Tanz- und Festplatz, ein Platz der Gemeinschaft und Kommunikation aller Art mitten im Dorf oder vor dem Hof.

Die einnehmende, zarte, liebe- und lichtvolle, entspannende und Herz öffnende Aura der Linde weist auf ihre enorme Heilkraft hin. Die Lindenblüten helfen bei Fieber, Husten und Erkältungskrankheiten, bei Kopfschmerzen, Stress, Nervosität und Schlaflosigkeit, bei Blähungen, Sodbrennen und Darmerkrankungen. Die Liste ist lang und immer unvollständig.

Alle großen Heilerinnen und Heiler aus der Welt der Bäume und Wildkräuter sind in ihrer Komplexität schwer zu erfassen. Nicht nur die einzelnen, wissenschaftlich nachweisbaren Wirkstoffe zeigen Wirkung. Ihre eigentliche Kraft entfaltet die Pflanze in ihrer geheimnisvollen Gesamtkomposition, die nicht bis ins Letzte seziert werden will und kann. Wen oder welche sie im Herzen berührt, für die oder den ist sie eine heilsame Begleiterin.

Lindenblütentee
Der Klassiker. Vor allem in der kalten Jahreszeit heiß getrunken, lindert er Erkältung, Husten, Schnupfen, Grippe und Bronchitis. Er macht Kopf und Brust frei und stärkt das Immunsystem. Mit dem Tee getränkte Kompressen helfen bei entzündeten und müden Augen.

Die Blüten mit den Flügelblättern sammelst du am besten an einem trockenen Vormittag im Juni oder Juli spätestens am vierten Tag nach dem Aufblühen. Ernte mit Bedacht und bedanke dich bei dem Baum, den Bäumen. Auf einem Leinentuch gut ausgebreitet kannst du die Blüten an einem luftigen, schattigen Ort trocknen. In dunklen, gut verschließbaren Gläsern nicht länger als ein Jahr aufbewahren.

Sommerbowle
ein bis zwei Tassen Blüten in einem Liter Apfelsaft drei bis fünf Stunden ziehen lassen, Saft von ein bis zwei Limetten dazugeben, nach Geschmack mit Mineralwasser auffüllen.

Zahnpulver
1 Teil Lindenkohle, 1 Teil Salbeiblätter, mörsern und mischen. Etwas davon auf die Zahnbürste geben und das Zahnfleisch sanft massieren. Reinigt, desinfinziert und stärkt das Zahnfleisch.

Weltbilder

Liebe – ein Wort mit tausend Gesichtern.

Wer die Welt anders gestalten will als ich, muss wirklich nicht liebens-wert sein. Ihm oder ihr gleich Übles zu unterstellen, lässt mich allerdings in Strukturen verharren, die ich eigentlich zu überwinden gedenke. Gut oder schlecht, falsch oder richtig – gibt es nur vom jeweiligen Standpunkt aus. All die Viren-Bekämpfer, die Bewegungs-Kontrollierer, die Grundrechts-Einschränker und Verschwörungstheorien-Konstruierer sind möglicherweise gar keine Bösewichte, sondern einfach Menschen, deren Bild vom Leben auf der Erde sich von meinem unterscheidet. Also frage ich mich besser, welche Welt ich mir wünsche.

Eigenmächtig kannst du davon träumen, wofür du leben und lieben willst. Irgendwann mögen Worte in deinem unvergleichlichen Raum aufsteigen, die sich in dein authentisches Tun verwandeln wollen. Und dies kann vieles sein, doch auf jeden Fall nichts, was dir von wem auch immer vorgegeben wird.

Bleib lebendig!

Auf Empfang

Das Streben nach Bewusstein mag im Kern nichts anderes bedeuten, als über das eigene Sein Klarheit zu gewinnen – abseits von Traditionen, Glaubenssystemen, Gesellschaftsstrukturen, Dogmen und Normen. Wer bin ich in meinem Körper, in meinem inneren Raum? Die Antworten sind selten im Alltags-Außen zu bekommen, zumal, wenn das Treiben dort verwirrend und fremd erscheint.

Still werden will ich. Das sich ausbreitende Licht und die Leichtigkeit der beginnenden Zwillingszeit in jede Zelle einatmen. Wohlwollend eine Weile in mich lauschen. Die Antennen des magischen siebten Sinns empfangsbereit ausrichten für ein ganz anderes Außen, das gut im Innen zu finden ist.

Das Leben ist ein Fest

Der Holunder strahlt im Licht des Lebens

Frau Holle im Holunder schüttelt ihre weißen Blüten-Sterne aus und zaubert einen unvergleichlich süß-herben Duft übers märchenhafte Frühlingsland. Sie hält die, die zwischen den Welten schweben, absturzgefährdet und fürs Neue bereit. Sie kennt keine Gegensätze – und keine Zeit. Vor allem die Zukunft, die zu beherrschende, gestaltende, ist ihr suspekt, denn sie liebt das Chaos, das Ungeplante, den Zustand sprühender Möglichkeiten jenseits beschränkter Vorstellungskräfte.

„Seelen, die zu sterben fürchten, sie werden niemals leben“: Die Zeilen aus einer deutschen Version des wunderschönen Liedes „The Rose“ könnten von der Göttin im Holunder stammen. Sie, die sich zeigt in den jungen weißen Blüten wie in den rot-schwarzen Früchten und dem knorrigen alten Baum, verbindet den Anfang mit dem Ende in der Spirale des Lebens. Sie lacht über die, die das farbenfrohe Sein auf der Erde zu einem Wettlauf mit der konstruierten Zeit und zum aussichtslosen Kampf gegen den Tod machen wollen. Das Leben als zu planende, zu sichernde, zu verlängernde Frist hat für sie keinen Wert. Das Leben der Frau Holle ist ein Fest voller überraschender Geschenke. Nichts und niemand ist ausgeschlossen. Auch der Tod feiert mit.

Mit der Holunderdame kannst du dich bekannt machen, indem du dich unter einen Strauch setzt und mit dem Duft der Blüten atmest. Mit einer Blütendolde kannst du auch dein Trinkwasser für den Tag aromatisieren.

Coyote in einer ver-rückten Welt, Teil 3

Die Höhle war kalt und modrig. Coyote zog sie der Welt draußen vor. Er rollte sich noch kleiner zusammen. Die Menschen waren ihm schnurzpiepegal. Sie wollten nichts von ihm wissen. Ja, neuerdings mieden sie ihn regelrecht. Dabei hatte er nun wirklich keine Ähnlichkeit mit einer chinesischen Fledermaus.

Er dachte nach – über das Leben und über den Tod, als plötzlich ein heller Strahl in sein dunkles Domizil drang. Coyote schnappte nach Luft. „Nein, bitte nicht, ich will noch nicht sterben!“, schrie er und legte eine Pfote an die Brust. „Weiteratmen“, rief ihm eine fröhliche Stimme entgegen. Caote, seine mysteriöse Begleiterin, lugte in die Höhle. Coyote erkannte sie an ihrer Kopfbedeckung aus allerlei Vogelfedern, die sie sich in die Stirn gezogen hatte. Den Rest des Gesichts verdeckte eine dieser Masken, mit denen sich die Menschen zurzeit vor ihrer Umwelt verbargen. Caotes Maske war sehr hipp. Zwei kleine Seehunde spielten darauf mit einem Ball voller lustiger kleiner Noppen.

Caote nahm die Maske ab und holte tief Luft. „Ich habe mich ein bisschen unter den Menschen umgeschaut“, sagte sie. „Was du gerade machst, nennen sie Quarantäne.“ Caote kratzte sich unter ihrem Hut. „Ist vielleicht wie bei dir ein Kommunikationsproblem“, sagte sie. „Du willst keinen Kontakt zu Menschen, die Menschen wollen keinen Kontakt mit einem Virus.“ Caote stellte ihren abgewetzten Rucksack vor Coyote und zauberte Lammkoteletts heraus. Coyote machte sich über das Fleisch her und war für wenige Minuten sehr zufrieden.

Kaum hatte Coyote den letzten Bissen hinuntergeschluckt, sprang Caote auf. „Mir scheint, es hat mich gerade eine Nachricht der Esche erreicht“, sagte sie und lauschte in den Wind. Coyote verdrehte die Augen. Seine Begleiterin hörte öfter mal Stimmen – nicht nur die von Bäumen. „Sie fragt, worauf du noch wartest.“ Coyote seufzte und dachte im Stillen: Ich habe keinen Mumm mehr in den Knochen. „Hab‘ ich der Esche auch gesagt“, sagte Caote schulterzuckend. Coyote knurrte grimmig, stieß sich blitzschnell vom Boden ab, fuhr seine Krallen Richtung Caote aus und stürzte sich auf sie. Gewandt befreite sich Caote aus dem Griff der Pfoten und rannte davon. „Hey, da geht noch was, Alter“, rief sie Coyote zu. Nach einer wilden Verfolgungsjagd ließen sich beide lachend in eine Frühlingswiese fallen. Da wusste Caote, dass sie der Lösung ihrer dritten Aufgabe schon sehr nahe waren.

Zwei Aufgaben der Esche hatte Coyote mit Caotes Unterstützung bereits erfüllt, und doch fühlte er sich seinem Ziel keinen Schritt näher gekommen. Die Menschen wollten von seinesgleichen nichts mehr lernen. Die Verrücktheiten und Anwandlungen von Größenwahn des Kojoten waren nichts im Vergleich zu ihren. „Aber du kennst im Gegensatz zu ihnen die Tricks, aus dem Schlamassel auch wieder herauszukommen“, gab Caote zu bedenken. Coyote war es immer noch ein Rätsel, wie ihm die Aufgaben eines alten Baumes dabei helfen sollten, dass die Menschen ihn wieder beachteten. „Die dritte Aufgabe hört sich so an, als sei sie von einem fernen Stern gechannelt“, sagte er höhnisch. „Finde heraus, wonach sich eine winzige Maus und eine kleine Fee ebenso sehnen wie ein großer Junge und eine alte Frau“, lautete sie. „Ich hasse diesen esoterischen Mist“, brummte Coyote. Caote lachte: „Ich auch!“ Doch sie ahnte, dass die alte Esche eine echte Magierin war. Coyote irgendwie auch. So machten sie sich also auf den Weg.

Coyote trottete neben Caote durch die Straßen, als eine junge Frau ohne ihn zu sehen schnurstracks auf ihn zulief. „Pass auf!“, rief Coyote, da fiel die Frau schon über ihn drüber. Ihr Smartphone flog durch die Luft und landete in Caotes ausgestreckter Hand. „Hui, gut gefangen.“ Die Frau atmete erleichtert durch und rappelte sich auf. Dann versuchte sie zu verstehen, wen sie vor sich hatte. „Whow“, rief sie, „ein Kojote und ein Hippiemädchen!“ Sie tippte schnell auf ihrem Smartphone. „Seid ihr auf Instagramm? Ich möchte dich als Follower, Kojote. Suuuper!“ Der Kojote und das vermeintliche Hippiemädchen sahen sich verständnislos an. „Follower?“, fragte Caote. „Verehrer, heißt das“, flüsterte Coyote und checkte, ob die junge Frau ihm gefallen könnte. Mhm, sie war ein Mensch. Ein Mensch, wie sich bald herausstellte, der zu einer „krassen Community“ gehörte. Caote fand sie schrill und sehr einsam. Coyote wurde zum Follower, und die junge Frau eilte freudig davon.

Die große Stadt war ungewöhnlich leer. Am Rande einer Bahnunterführung saß eine alte Frau auf ihrem Rollator und fütterte Tauben. Ausgelassen sprang Coyote in die Gruppe der Vögel, die wild aufflatterten und davonflogen. Die alte Frau begann zu weinen. „Das sind meine Freunde, meine Freunde“, schluchzte sie leise. Coyote wollte sich entschuldigen. Die Frau zitterte heftig vor Angst, als er sich ihr näherte. „Der tut nichts“, sagte Caote, „der will nur gestreichelt werden.“ Schelmisch grinste sie Coyote zu, der sie am liebsten erwürgt hätte. Doch die alte Dame blickte ihn so traurig an, dass Coyote sich wie ein braver Hund neben sie setzte und sie mit seiner Schnauze anstupste. Die alte Dame kraulte ihn und erzählte den beiden von ihren Kindern und Enkelkindern, die auf der anderen Seite des Erdballs lebten.

Nachdenklich und ohne Ziel ließen sich der Coyote und Caote weiter treiben. „Was bist du denn für ein haariges, hässliches Biest?“ Ein schon sehr großer Junge stellte sich ihnen in den Weg. In seinen Händen hielt er einen Fußball, den er Coyote mit voller Wucht gegen die Nase warf. Coyote fletschte die Zähne, da warf sich Caote dazwischen. „Was bist du für eine dämliche Zicke?“, schrie der Junge. Caote erklärte ihm in sehr schönen Worten, warum sie keine dämliche Ziege und Coyote kein hässliches Biest war, nahm den Ball, jonglierte ihn gekonnt mit dem Fuß und köpfte ihn zu dem Jungen. Die drei kickten gemeinsam, bis es dunkel wurde.

Coyote und Caote betrachteten die volle Mondin. Es war sehr still. Da flitzte eine Maus an ihnen vorbei, gefolgt von einem kleinen Zwerg. Eine gitzernde Fee schwebte dahin, und ein Wesen, für das sie keinen Namen kannten, stapfte über die Wiese. Sie waren alle in dieselbe Richtung unterwegs. „Lass uns mal schauen.“ Caote war neugierig. Wenige Schritte entfernt saß ein junger Mann mit gekreuzten Beinen auf einer Matte. Um ihn herum hatten sich der Zwerg, die Maus, die Fee und das unbekannte Wesen versammelt. Sie sahen den Mann gespannt an, doch der sah sie nicht. Seine Augen waren geschlossen. „Die Menschen nennen das meditieren“, flüsterte Caote. Coyote setzte sich neben die Maus, Caote neben den Zwerg. So saßen sie einträchtig beieinander. Plötzlich stöhnte der junge Mann laut auf und schlug mit den Fäusten auf den Boden. Die Maus, die Fee, der Zwerg, das unbekannte Wesen, Caote und Coyote flitzten erschrocken davon. „Verdammt! Ich sehe nichts!“, rief der junge Mann, vergrub den Kopf zwischen den Armen und schimpfte mit sich selbst.

„Das wird mir langsam alles zu ernst!“ Coyote lief missmutig im Kreis. „Ich will Lammkoteletts essen und schmutzige Witze erzählen“, rief er. „Ich will Musik machen und tanzen“, gab Caote zurück. „Ich will eine Kojotin lieben“, erwiderte Coyote. „Ich will eine Frau küssen und einen Mann in den Arm nehmen“, sagte Caote. „Ich will mit einer Maus einen Baum hochjagen.“ „Und ich mit einem Kind auf einen Baum klettern.“

„Und ich will, dass ihr zu mir kommt, aber nicht allein!“ Coyote und Caote sahen sich fragend um. „Wer hat das gesagt?“ Caote lächelte. „Die Esche!“ So luden die beiden Aufgaben-Löser*innen ein paar Erdenbewohner ein, mit ihnen die Esche zu besuchen: die junge Frau von Instagramm, die alte Dame mit ihren Tauben, den fußballspielenden Jungen, die Maus, die Fee, den Mann auf der Yoga-Matte, den Zwerg und das Wesen, für das sie noch keinen Namen kannten. Wer sich ihnen auf ihrem Weg anschließen wollte, war herzlich willkommen. Sie begegneten dem Eichhörnchen, das für Coyote drei Eicheln ausgegraben hatte, dem Mitbewohner der Klugscheißerin Alexa, dem kleinen Mädchen, das sich gerne in der Wiese wälzte, dem Lieblingspizzabäcker und dem Lieblingstürken, dem Mann in piekfeinem Anzug und der Frau im superschicken Business-Kostüm, die Coyote und Caote eine Geruchsprobe verweigert hatten. Sie alle gingen mit ihnen.

Als sie die alte Esche in ihrem Wald erreichten, staunten die Menschen, Tiere und anderen Wesen nicht schlecht. Die köstlichsten Speisen und Getränke waren unter dem lichten Blätterwerk des Baumes ausgebreitet. Jede und jeder fand einen passenden Platz, und sie feierten miteinander das, wonach sie sich alle sehnten: Gemeinschaft.

Herzensfeuer

Wildweiser Sprung

übers Herzensfeuer

im Glutlicht der prallen Mai-Mondin.

Für die Liebe und die Wut,

für die Zweifel und das Vertrauen,

für die Vielfalt und die Einzigartigkeit,

für die Trauer und die Freude,

für den Mut und die Demut…