Uralte Visionen

Schnee-Gestalten

Der Schnee knarzt unter meinen Füßen wie der Boden einer abgelaufenen Holztreppe. Gerade frisch gefallen, erinnert er mich an etwas Uraltes. Schnee ist immer anders und immer Schnee. Nicht derselbe, doch sehr ähnlich dem vor einer Woche, im letzten Winter. Das vermeintlich Neue enthält das Vergangene, wie das Junge im Alten präsent ist. So werden auch unsere Visionen von dem geprägt, was war wie von dem, was wir uns wünschen – und auch das ist schon irgendwann einmal gewesen. Vielleicht sind Visionen ja Erinnerungen an etwas, was wieder ins Leben geholt werden will.

Halt, um den Nebel auszuhalten

Oft kommen die Visionen im Schlaf – wie bei der Priesterin im Tempelschlaf aus dem Hypogäum von Malta

Die Visionen tun sich manchmal schwer, aus dem Nebel ins Mondsichel-Licht zu treten. Bevor sie selbst klar werden, wollen sie noch ein paar Fragen geklärt wissen: Wer bist du zurzeit? Wozu bist du bereit? Welches sind deine Ängste? Um mich bei den Antworten nicht im Nebel zu verlieren, suche ich nach festen Wurzeln. Die sind dort, wo ich mich zuhause fühle – in diesem Fall sehr weit unten oder ganz weit oben. Ich verbinde mich mit der Feuer-Energie der Erde und mit dem Licht meiner Sternenfamilie. Die beiden Kräfte geben mir Selbst-Vertrauen, sie helfen mir, meine Möglichkeiten und meine Grenzen zu sehen. Wenn ich Halt habe, lässt sich der Nebel aushalten. Und irgendwann löst er sich auf.

Bilder für den Raum des Lebens

Eine Vision ist ein Bild, dass wir uns machen – im Kopf, im Herzen, besonders im Bauch. Skizzenhaft, zart angedeutet, sehr schutzbedürftig. Das Visionen-Finden kann ganz wunderbar den Winterblues besänftigen. Mal dir nicht gleich aus, die Welt zu retten. Für die kleinen Bilder findet sich eher ein Platz im Raum des eigenen Lebens.

Imbolc, Lichtmess wird Anfang Februar gefeiert, zu einer Zeit, in der die Kräfte des Eises das Land erstarren lassen. Doch im Inneren, im Bauch – genau das heißt Imbolc – sicher geborgen regt sich schon ein Feuerfunke der Vision und Inspiration. Und den größten Pessimisten mögen die vorwitzigen Haselkätzchen ins Auge fallen. Bereits im vergangenen Spätsommer sind sie erschienen, um ein Versprechen zu machen: Das neue Leben ist nicht aufzuhalten. Im winterlichen Februar werden sie zu blühen beginnen.

Lass deine Visionen für die helle Zeit aufsteigen – für dich, für deine Familie und Freunde, für die Welt. Sie haben nichts zu tun mit selbstkasteienden Vorsätzen fürs neue Jahr, sie sind schöne Träume, die mit Unterstützung von Helferinnen und Helfern auf vielen Ebenen Wirklichkeit werden können. Mit Leichtigkeit und Freude, aber auch mit Entschiedenheit und Respekt wollen sie genährt und auf die Erde gebracht werden.

Farbtupfer im Wintergrau

Frau Percht vertreibt die Zeit

Frau Percht, die Wilde, die aus dem Chaos (Er-)Schaffende vertreibt die Zeit und fegt hinweg Struktur und Ordnung. Es ist die Nicht-Zeit des Nichtstuns, in der die Träume frei fliegen – in manchmal schwindelerregender Höhe und doch nie absturzgefährdet. Nichts ist wirklich bedrohlich. Denn Frau Percht, die Strahlende, hat zuvor das Licht des Lebens neu entzündet. Dunkelheit und Verwirrung sind aufgehoben in geborgener Stille. Es ist Raum, sich ehrlich selbst zu begegnen.

Die Raunächte beginnen mit der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember und enden am 6. Januar. Sie werden bezeichnenderweise  auch Tage zwischen den Jahren genannt und geben uns Gelegenheit, über die Schwelle bewusst in einen neuen Zyklus zu treten. Es ist die Nicht-Zeit des Orakelns, des Räucherns, der Spaziergänge, des Einatmens der klaren, kalten Luft, des Innehaltens, des Überprüfens und des behutsamen Vorausschauens.

Stehen bleiben

Ich flüchte zu der alten Esche, meiner treuen weisen Ratgeberinnen. Der Wunsch nach Innehalten prallt gegen die vermeintlichen Zwänge des Berufs- und Konsumalltags, die Sehnsucht nach Besinnlichkeit kämpft gegen das kalte Flimmern der Elektro-Kerzen, die eigenen Bedürfnisse streiten mit denen der anderen. Alles scheint zu rasen. Der Baum bleibt stehen.

Völlig verwirrt in der allgemeinen Verwirrung bitte ich um einen Hinweis, eine Handlungsempfehlung. Schau, was ist, bevor du dich darin verlierst, was werden könnte, höre ich. Ich setze mich auf eine der Wurzeln und lehne mich an den Stamm. Ich atme tief ein und erleichtert aus. Allein aus dem Sein entsteht Veränderung.

Ein Lichtlein brennt

Advent, dunkle Zeit, ein Lichtlein brennt.
Es ist für die Erde, tief flüsternd,
Lass dich fallen
in den Schoß des Vertrauens.

Advent, dunkle Zeit, ein Lichtlein brennt.
Es ist für das Feuer, zärtlich knisternd,
Lass dich berühren
vom Herzen der Welt.

Advent, dunkle Zeit, ein Lichtlein brennt.
Es ist für das Wasser, sanft plätschernd,
Lass dich tragen
vom Fluss des Lebens.

Advent, dunkle Zeit, ein Lichtlein brennt.
Es ist für die Windin, leise pfeifend,
Lass dich erinnern
an den Zauber des Werdens…

…aus der Dunkelheit

Dem Winter davonrennen

Die Schleiher sind verwirrend dünn in der Zeit rund um den November-Neumond. Das Licht will sich zurückziehen, die Dunkelheit meldet sich mit Macht. Es fällt schwer, diesen unglaublichen Sommer zu verabschieden mit all der Sonne, den unbeschwerten Tagen draußen, dem flirrenden Treiben, dem ausgelassenen Feiern. Nein, noch ein bisschen Wärme, noch ein bisschen Helligkeit, noch ein bisschen Laub an den Bäumen. Die Toten, die Ahnen kichern: Daraus wird nichts. Was nicht sterben will, kann nicht weiterleben. Wer den Schatten fürchtet, den verbrennt das Licht. Ach, was! Nur noch ein bisschen über die Wiesen dem Winter davonrennen! Die Ahnen rufen: Daraus wird nichts. Ja, natürlich, rufen wir zurück. Ja, aber nein. Jetzt noch nicht. Die Ahnen verlieren die Geduld: Wenn ihr schon nicht selbst still schweigen könnt, lasst wenigstens den Samen des Neuen ihre Winterruhe! Und wenn ihr doch noch Ruhe findet, um euch selbst zuzuhören – umso besser.