Die weise Feuerkraft des Salbeis

Im August geerntet, sind die Blätter am heilkräftigsten

Wäre der Salbei ein Mensch, er wäre eine starke Frau, sagt die eine Kräuterkundige. Wäre der Salbei ein Mensch, er wäre ein alter Magier in blauviolettem Mantel mit silbergrauem Haar, meint die andere. Beides und nichts mag der Wahrheit entsprechen. Die Bilder, die wir uns schaffen, mögen immer nur Ausschnitte erfassen von dieser großen Schamaninnenpflanze, deren Sein über menschliche Zuordnungen hinausgeht. Was wir beschreiben können, ist ihre Heilkraft, zumindest einen großen Teil davon. Es gibt kaum Alltagsbeschwerden, die wir nicht mit Salbei behandeln können.

Als Tee aus frischen oder getrockneten Blättern hilft er bei Entzündungen jeder Art, bei Erkältungen, Halsschmerzen, bei Kreislaufschwäche, bei nächtlichem Schweißausbruch, und er ist allgemein kräftigend. Frauen ist er ein unterstützender Begleiter vom Beginn der Menstruation über den (unerfüllten) Kinderwunsch bis in die Wechseljahre. Er stärkt das Gehirn, erhöht die Konzentration beim Lernen oder bei Prüfungen und wirkt gegen Gedächtnisverlust.

Geräuchert und im Pflanzenwasser reinigt der Salbei Menschen und Räume. Er steht zur Seite, um  bei inneren Prozessen, Übergängen und Zeiten des Wandels bei sich bleiben zu können.

Die Vielseitigkeit mancher Heilpflanze lässt uns einerseits staunen und andererseits oft überfordert fragen, ob sie im konkreten Fall wirklich die Richtige ist. Da kann es von Vorteil sein, die Bücher beiseite zu legen und an den Blättern des Salbeis zu riechen, mit den Fingern über die behaarte Oberfläche zu streichen und sich einfach einen Tee zu brauen.

Noch ein Weg kann sein, sich den Grundcharakter einer Pflanze bewusst zu machen. Der Salbei ist ein Kind des heißen Südens. Aus dem östlichen Mittelmeerraum gelangte er im Mittelalter in unsere Gärten. Er besitzt die Kraft des Feuers, die jetzt im August am stärksten ist. „Weise“, „sage“, ist der englische Name des Salbeis. Ein weises Erdenwesen ist er allemal. Und wirklich weise ist, wer mit den Lebenskräften angemessen umzugehen lernt. Die Feuerkraft kann wärmen und verbrennen, inspirieren und transformieren, die Liebe ebenso nähren wie die Wut.

Der Salbei lehrt uns, genau zu schauen, welches Maß an Feuer wir entsprechend unserer Aufgabe und unseres Alters nutzen können und sollen. Die Warnung gegen Maßlosigkeit liefert er gleich mit: Das in ihm enthaltene Nervengift Thujon kann bei Überdosierung zu Herzrasen, Krämpfen und Lähmungserscheinungen führen.

Wäre der Salbei ein Mensch, dann wäre er ein Magier und eine weise Frau, deren Leitspruch lautet: Erkenne dich selbst, finde das Maß, tu was du willst und schade niemandem.

Die oben zitierten Kräuterkundigen sind Susanne Fischer-Rizzi und Ursula Gerhold. Die Weisheit des Salbeis, das Feuer im rechten Maß zu nutzen, gab mir Ursula Gerhold weiter.