Gesichert abstürzen

Um loszulassen, braucht es Vertrauen und Zuversicht. Eine starke kleine Pflanze kann dabei äußerst hilfreich sein: der Kriechende Günsel. Anders als sein Name nahelegt, steht er blau-violett blühend sehr gerade aufgerichtet auf artenreichen Frühlings- und Sommerwiesen. Unter der Erde allerdings geht er weit verzweigt in die Tiefe – und nimmt dich mit, wenn du willst. Lass dich fallen, sagt er. Ganz unten bist du bei dir angekommen und kannst dich mit einem Schatz im Gepäck an den Wiederaufstieg machen.

Die Schätze, die es in den Märchen zu finden gilt, sind meist nichts anderes als Symbole für das eigene authentische Sein in Verbundenheit mit einer Quelle der Fülle. Um diesen Schatz zu entdecken, heißt es, mutig zu sein. Vorgezimmerte Wahrheitsgerüste könnten unter dir zusammenbrechen.

Die Anspannung, die wir aufwenden, um nicht abzustürzen, mag uns vom Leben abhalten. Der Günsel hilft beim Fallen, indem er die Erstarrung löst. Die beschriebenen medizinischen Eigenschaften des Günsels scheinen nahezu grenzenlos. Wie immer geht es darum, da zu heilen, wo die Energien in unserem Körper aus dem Gleichgewicht geraten sind, bei Entzündungen, Vergiftungen, inneren und äußeren Wunden, Schmerzen, Wechseljahrsbeschwerden, Stoffwechselstörungen, Ängsten, Anspannungen…

Mach dir einfach erstmal eine Tasse Tee mit einem frischen, blühenden Stängel. Die Farbe des Wassers bringt dich vielleicht zum Staunen. Dann lass dich auf den Günsel ein oder lass ihn los.

Sieger-los

This little light of mine, I’m gonna let ist shine…

Versöhnung könnte auch eine weibliche Form haben: Vertöchterung. Beides meint, dass wir nach-geben im Bewusstsein des Gemeinsamen über Grenzen hinweg: Wir sind Söhne und Töchter einer Erdenfamilie. Ohne Versöhnung ist Frieden unmöglich. Erkämpft werden kann er nicht. Wenn Frieden ist, sind längst die Waffen aller Art niedergelegt. Dann gibt es nur noch Sieger – oder am besten gar keine mehr.

Laut dem Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm ist das Wort „Sieger“ übrigens „im allgemeinen den älteren dialecten fremd“.

Krötenmacht

Die heilmächtigen Frauen folgten den Krötenpfaden auf der Suche nach der Medizin der Natur. Im Dunklen, Wässrigen, Schleimigen der Sümpfe und Moore hoben sie Schätze und verbargen sich vor denen, die nach einer anderen Art der Macht strebten.

Verborgen mag auch heute Vieles sein, Verstecken ist ein Spiel für Kinder. Was uns Angst machen soll, können wir wieder als ureigene Verbündete erkennen: das Feuchte, das unsichtbare Unheimliche, das Sumpfige trägt den Samen des Erdenlebens und lässt ihn keimen und wachsen zur gegebenen Zeit. Das strahlende Licht im Außen gibt sich jetzt bescheiden in Respekt vor dem gebärenden Dunkeln im Inneren.

Alles ist Bewegung

Balance mag ein Augenblick des Stillstands sein. Zur Frühlings-Tagundnachtgleiche stehen die Waagschalen von Hell und Dunkel im Gleichgewicht. Doch was innezuhalten scheint, ist längst schon wieder in Bewegung. Wenn wir uns wünschen, die Zeit möge stillstehen, fürchten wir im Grunde die ungewisse Veränderung. Das Leben lässt sich nicht aufhalten, es ist weder fest und starr noch vorhersehbar. Es ist ein unendliches Spiel, spontan, unberechenbar und unglaublich kreativ. Allein welche Bewegung ich in das große Netz der Erdenfamilie hineingebe, liegt in meiner Hand.

Leuchten im Halbschatten

Der Bärlauch schenkt uns nach dem Winter viel grüne Kraft

Aufgetaucht aus der feuchten Erde, sattgrün leuchtend im geheimnisvollen Halbschatten, lässt er sich nicht schrecken von eisigen Nächten: Der Bärlauch zeigt sich, um das Leben zu nähren. Er ist ein Kind der Dunkelheit, des Nichts, erschaffen im Gestaltungsraum des inneren Leuchtens, in dem nichts ausgeschlossen und alles möglich ist.

Ich beuge mich hinunter zu den Blättern, pflücke sie einzeln, unter meine Fingernägel legt sich ein grünbrauner Rand. Mutter Erde.

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Lachen, fauchen, genießen

Die Schafgarbe erhebt sich stolz und strahlend in großer Gemeinschaft. Die Esche steht unerschütterlich in sattgrüner Wiese. Die feinen Flügel der Hummel glänzen im Licht der Sonne. Das Rotkehlchen hüpft neugierig durch die Küche und schaut mich fragend an. Dies sind Begegnungen eines Vormittags, klein und bedeutend, die mich heraus und hinauf tragen. Ich sehe die Welt so von einem besonderen Über-Blickpunkt. Es ist Hoch-Sommer, Zeit der Löwin. Stark, wild, frei kennt und genießt sie die Geschenke der Erde. Und schützt sie mit einem leisen Knurren, einem lauten Fauchen oder einem ansteckenden Lachen.

Lebensfluss

Das Wasser lässt Grenzen verschwimmen

„The river ist flowing, flowing and growing…“ Ich blicke über das Geländer der Rheinbrücke in den reißenden Strom und singe leise zum erdbraun getönten Wasser. „…The river is flowing back to the sea. Mother Earth, carry me, your child I will always be, Mother Earth, carry me back to the sea“.

Ich wünschte, die Fluten rissen uns aus dem Glauben, wir Menschen könnten dem Lebensfluss Regeln und Grenzen setzen.

Die Angst heilen

„Herz der Erde“ wird sie in Nordamerika genannt: die kleine Braunelle

Ich radle durch die Stadt und freue mich über die Wildblumenwiesen, die zwischen Straßenzügen und entlang von Häuserzeilen wachsen können. Schon beim Anschauen fühle ich die Heilkraft der Pflanzen. Als bunte Gemeinschaft und als einzelne Kräuter öffnen sie sich mir und gehen unmittelbar in Kommunikation. Eine duckt sich im hohen Gras und will bewusst wahrgenommen werden: die kleine Braunelle, eine liebevolle Heilerin mit einer Macht, die groß ist und leicht zu übersehen.

Self Heal heißt die kleine Braunelle auf Englisch. Sorge für dich, achte auf deine Bedürfnisse und erkenne deine Kräfte und Möglichkeiten, sagt sie. Die passende Medizin findest du, wenn du die Verantwortung für dich und deine Gesundheit bei dir behältst. Du bist dir am nächsten und weißt am besten, was du brauchst. Nebenbei helfe ich dir, dem ins Auge zu schauen, was dich daran hindert, in Harmonie mit dir und deiner Umgebung zu sein: der Angst.

Die Braunelle nahm ich zum ersten Mal wirklich wahr im Sommer 2019. Ohne konkreten Anlass setzte ich eine Tinktur an. Die Medizin ruhte zunächst in einer Kiste – bis ich dieses Frühjahr eine intensive Begegnung mit Lady Corona hatte. Da meldete sich die kleine Wildpflanze mit Nachdruck und war mir eine wunderbare Begleiterin.

Die kleine Braunelle wächst in großen Gruppen. Trotzdem oder gerade deswegen achte darauf, wieviel davon für dich bestimmt ist. Ich empfinde die Gruppen durchaus als Familien, von denen sich einzelne Mitglieder gerne verschenken, die allerdings als System intakt bleiben wollen.

Apfel, Fünfstern und Beltane

Es gibt Menschen, die einen Apfel quer aufschneiden, um vor dem Verzehr ein besonderes Zeichen der Gesundheit und der Erkenntnis zu Gesicht zu bekommen. Im Kerngehäuse der hoch geschätzten Frucht ist das Pentagramm zu erkennen. Der fünfzackige Stern zeigt sich auch in den Blüten. Diese öffnen sich gerade, kurz vor dem Jahreskreisfest der Sinnlichkeit, in ihrem reinen Weiß durchmischt mit karminrotem Rosenrot.

Himmel und Erde kommen sich nahe, alles fließt ineinander, alles ist miteinander verbunden: der Apfel mit dem Pentagramm, das Pentagramm mit dem Fest Beltane, Beltane mit der Venus, die Venus mit dem Fünfstern, der Fünfstern mit dem Apfel… und alles mit dem Erkennen der Lebensenergien.

An Beltane, in der Nacht zum ersten Mai feiern wir die unbändige Feuerkraft, auch die eigene. Der Winter mit Frost und Schnee ist endgültig vorbei, die Sonne lockt die Früchte der Erde und die Menschen nach draußen. Die Natur versorgt uns wieder üppig, die Tage sind lang und hell.

Hell leuchtet auch die Venus. Ihr Strahlen ist selten zu übersehen, sie ist der Morgen- und der Abendstern. Der Apfel ist die Frucht dieser berührenden, vereinigenden, liebenden, sinnlichen, lebenserhaltenden Göttin. Im kosmischen Tanz der Venus erscheint wie im Apfel der Fünfstern. Bei ihrer Bewegung um die Sonne trifft sich die Venus immer wieder an genau denselben fünf Punkten mit der Erde. Die beiden zeichnen so im Weltall ein unsichtbares Pentagramm.

Das Pentagramm bildet eine ungebrochene Linie, die ohne abzusetzen endlos überzeichnet werden kann. In der Tradition der weisen Frauen stehen seine Spitzen für die vier Elemente und die Geistin. Es schafft den (Schutz-)Raum für freie Entfaltung und Wandlungsfähigkeit. Hier schließt sich der Kreis zum Apfel: Sein Baum ist eine Quelle der Erkenntnis.

Das Abenteuer Zuhause

Die ersten Krokusse vor der Haustür entdecken

Die Kraniche ziehen weit oben am Himmel in beeindruckenden Formationen gen Norden. Ihre Rufe locken mich seit Tagen ans Fenster. Wehmütig schicke ich ihnen einen frühen Frühlingsgruß hinauf. Ein paar Etagen tiefer zwitschert mir ein Meisen-Pärchen ins Ohr. Auch sie wollen beachtet werden, ganz besonders sie. Während die Kraniche nur für kurze Momente zu meiner Alltagswelt gehören, werden mich die Meisen durchs Jahr begleiten. Sie sind Teil des Ortes, an dem ich heimisch sein will. Also gehe ich hier auf Reise und Spurensuche, entdecke die Krokusse und die Schneeglöckchen, höre das Gras im Park wachsen, sauge bald das zarte Grün mit den Augen und die ersten Blütendüfte mit der Nase auf, beobachte die Tauben, die sich im hauseigenen Efeu ein Nest bauen und freue mich über die frisch gepflanzten Hyazinthen der Nachbarin.

„Es genügt nicht allein, ,die Natur zu lieben‘ oder ,in Harmonie mit Gaia leben‘ zu wollen. Unsere Beziehung zur natürlichen Welt findet an einem Ort statt, und sie muss auf Information und Erfahrung begründet sein“, schrieb Gary Snyder in seinem Buch „Lektionen der Wildnis“. Für indigene Völker war und ist die Verbundenheit mit einem Ort selbstverständlich, ja sinngebend. Ohne diese Verwurzelung verliert für sie das Leben an Bedeutung und Orientierung.

Vielleicht willst auch du dich jetzt mit den Tieren, Pflanzen, Menschen, Steinen, Böden, Winden, Wassern… deiner Umgebung vertrauter machen. Das kannst du ganz einfach bei Spaziergängen tun. Schau mit offenen Augen und offenem Herzen, wer und was dir begegnet, wer hier außer dir noch zuhause ist.

Susanne Fischer-Rizzi hat ein schönes Buch geschrieben über die Möglichkeiten des Wieder-Heimisch-Werdens. „Das Geheimnis deines Ortes“ heißt es.

Die Kraniche auf ihrem Weg nach Norden vorbeiziehen sehen