Verborgen in Veränderung

Wirklich unwirklich

Der Nebel glättet die Kanten und verwischt die Konturen, im Regen zerfließen die Strukturen und verschwimmen die Schärfen. Das Außen erscheint irreal, verborgen in Veränderung begriffen und kaum zu er-fassen. Worüber streiten wir uns? Was gibt es zu tun? Fragen bleiben unbeantwortet, Entscheidungen ungetroffen. Die Erde ruft nach Beachtung, nach Verwurzelung, nach sinnlichem Wahr-nehmen. Im Vagen bereitet sie den Weg zu innerer Klarheit. Mit ihrer Unterstützung unter den Füßen, im Bauch und im Herzen übe ich mich im Wünschen. Nicht den Porsche, den nächsten Urlaub oder den besseren Job. Ich suche zu ergründen, wofür mein Licht wirklich und wahrhaftig brennen will.

Die Kelten feierten in dieser Zeit Imbolc, das Fest der Brigid, Göttin der Inspiration und des ersten Lichtfunkens, der die Vision für das Wiedererwachen nach der Dunkelheit nährt. Die Christen segnen Kerzen, und auch sie ehren die alte Göttin des Lebens, in Gestalt von Maria. Alles ruht noch im Schoß von Mutter Erde, auch die Träume, Wünsche und Visionen. Bis sie als kleines Lichtlein aufsteigen und in die Welt gebracht werden wollen. Ganz behutsam und geschützt, denn noch pfeifen die eisigen Winde über sie, und der kalte Frost prüft ihre Beständigkeit.

Frei für die Vision

Wasser reinigt und bringt ins Fließen, nicht immer auf die sanfte Art.

Der prasselnde Strahl aus dem Duschkopf, das umhüllende Wasser in der Badewanne, das Eintauchen in einen kalten Wintersee, ein vom Wind begleiteter Spaziergang, fließend tanzen, sich fallenlassen in die Leere: Es tut gut, sich von blockierenden Gedanken und Handlungen zu reinigen, bevor die Vision aufleuchten kann – an Lichtmess, Imbolc, wie immer du das Jahreskreisfest Anfang Februar nennen willst. Doch hilft es nicht, dabei in dualen Mustern hängenzubleiben und sich alles Negatives fort zu wünschen. Reinigen heißt für mich, den Blick freizumachen auf die Vision, die gesehen werden will, und das, was dabei hinderlich sein könnte, nicht einfach nur beiseitezuschieben, sondern ihm einen angemessenen Platz im eigenen Leben einzuräumen.

Damit das Neue eine Chance hat, will es vielleicht einmal mit anderen Gedanken und Handlungen erschaffen werden. Eine Vision kommt da schon auf bei mir: ungewöhnliche Wege zu finden und zu gehen.

Geschenke ohne Harmonie-Guss

Wir haben mit den Geistern der Wintersonnwende gelacht und gesungen. Leise, denn die Stille wollte sich ausbreiten in uns und um uns herum. Wir haben das Helle begrüßt und der Dunkelheit gedankt. Wir haben unser kleines Licht wieder-entdeckt und etwas davon in die Welt geschickt. Die Geschenke mögen mich durch Weihnachten tragen, mich nicht bange machen lassen vor der unerfüllten Sehnsucht, der auf ein unbestimmtes Morgen vertröstenden Hoffnung, dem klebrigen Harmonie-Guss und dem schmerzvollen Korsett der Christnacht-Friedlichkeit. Nicht beirren lassen von dem ewigen Retter – von wem, vor wem, von was eigentlich?

Das kleine Licht möge leuchten und wachsen und wir im besten Fall die Gemeinschaft ehren und nähren, die uns dieser Tage begegnet, begleitet, umgibt.

Zeit des Unsichtbaren

Ahnenbäume

Schwarzmondin, Fest der Dunkelheit. Loslassen, ins Unsichtbare fallen. Die weise Alte wartet auf Zutaten für den magischen Trank, den sie im Kessel der Transformation braut. Es gibt nichts zu tun, außer das Gefäß zu füllen. Mit unseren Mustern und unseren Träumen, mit unseren Wünschen und unserem Schmerz, mit unserer Todesangst und unserer Lebensfreude. Alles versinkt im Verborgenen, im Nicht-Wissen, im Geborgenen, im Meer der Erinnerung. Die Erde gibt ihr Salz dazu, das Feuer einen tiefroten Wein, das Wasser die Tränen der Kinder und die Luft den Atem der Ahnen. „Vertraue“, flüstert die Alte. Was kommen mag, köchelt leise dort, wo das Neue entsteht: in der Leere des kreativen Chaos. Unsichtbar. Für eine Weile.

Die weise Feuerkraft des Salbeis

Im August geerntet, sind die Blätter am heilkräftigsten

Wäre der Salbei ein Mensch, er wäre eine starke Frau, sagt die eine Kräuterkundige. Wäre der Salbei ein Mensch, er wäre ein alter Magier in blauviolettem Mantel mit silbergrauem Haar, meint die andere. Beides und nichts mag der Wahrheit entsprechen. Die Bilder, die wir uns schaffen, mögen immer nur Ausschnitte erfassen von dieser großen Schamaninnenpflanze, deren Sein über menschliche Zuordnungen hinausgeht. Was wir beschreiben können, ist ihre Heilkraft, zumindest einen großen Teil davon. Es gibt kaum Alltagsbeschwerden, die wir nicht mit Salbei behandeln können.

Als Tee aus frischen oder getrockneten Blättern hilft er bei Entzündungen jeder Art, bei Erkältungen, Halsschmerzen, bei Kreislaufschwäche, bei nächtlichem Schweißausbruch, und er ist allgemein kräftigend. Frauen ist er ein unterstützender Begleiter vom Beginn der Menstruation über den (unerfüllten) Kinderwunsch bis in die Wechseljahre. Er stärkt das Gehirn, erhöht die Konzentration beim Lernen oder bei Prüfungen und wirkt gegen Gedächtnisverlust.

Geräuchert und im Pflanzenwasser reinigt der Salbei Menschen und Räume. Er steht zur Seite, um  bei inneren Prozessen, Übergängen und Zeiten des Wandels bei sich bleiben zu können.

Die Vielseitigkeit mancher Heilpflanze lässt uns einerseits staunen und andererseits oft überfordert fragen, ob sie im konkreten Fall wirklich die Richtige ist. Da kann es von Vorteil sein, die Bücher beiseite zu legen und an den Blättern des Salbeis zu riechen, mit den Fingern über die behaarte Oberfläche zu streichen und sich einfach einen Tee zu brauen.

Noch ein Weg kann sein, sich den Grundcharakter einer Pflanze bewusst zu machen. Der Salbei ist ein Kind des heißen Südens. Aus dem östlichen Mittelmeerraum gelangte er im Mittelalter in unsere Gärten. Er besitzt die Kraft des Feuers, die jetzt im August am stärksten ist. „Weise“, „sage“, ist der englische Name des Salbeis. Ein weises Erdenwesen ist er allemal. Und wirklich weise ist, wer mit den Lebenskräften angemessen umzugehen lernt. Die Feuerkraft kann wärmen und verbrennen, inspirieren und transformieren, die Liebe ebenso nähren wie die Wut.

Der Salbei lehrt uns, genau zu schauen, welches Maß an Feuer wir entsprechend unserer Aufgabe und unseres Alters nutzen können und sollen. Die Warnung gegen Maßlosigkeit liefert er gleich mit: Das in ihm enthaltene Nervengift Thujon kann bei Überdosierung zu Herzrasen, Krämpfen und Lähmungserscheinungen führen.

Wäre der Salbei ein Mensch, dann wäre er ein Magier und eine weise Frau, deren Leitspruch lautet: Erkenne dich selbst, finde das Maß, tu was du willst und schade niemandem.

Die oben zitierten Kräuterkundigen sind Susanne Fischer-Rizzi und Ursula Gerhold. Die Weisheit des Salbeis, das Feuer im rechten Maß zu nutzen, gab mir Ursula Gerhold weiter.

Der Löwe brüllt für das Sein

Die Schnitterin geht über die Wiese und schneidet die Heilkräuter. Auf dem Feld holt sie die erste Ernte ein. Die Sense, die sie führt, bringt den Tod, der das Leben nährt. Ohne den klaren Schnitt verderben die herangereiften Früchte. Ein heißer Sommerwind wirbelt die Blätter auf, die ausgedörrt auf dem trockenen Boden liegen. Die Angst vor der Veränderung will sich von den Köpfen in unsere Körper ausbreiten. „Ich feiere das Leben“, brüllt der Löwe dazwischen, „weil ich genau dazu auf der Erde bin!“ Wie die Schnitterin nimmt er das, was ist und das, was er braucht. Nicht weniger, nicht mehr, in klarer Entschiedenheit.

Entschiedenheit heißt weder für die Schnitterin noch für den Löwen, mit Scheuklappen, nur die eigenen Interessen im Blick, über die Erde zu wüten. Entschiedenheit heißt für sie, sich für das Sein zu entscheiden. Der Löwe in jeder und jedem von uns sagt majetätisch: „Ich bin“ und gibt sich dem in unerschütterlichem Optimismus hin. Egal, wer oder was du sonst noch bist. Und egal, ob du im Moment überhaupt weißt, wer du bist.

Es ist genug

Sommersonnwend-Energie

Sommersonnwende, alles ist da. Auch all unsere Schmerzen und das klare Nein zu all dem, was die Erde, die Tiere, Pflanzen und Menschen verletzt, bedroht, missachtet. Licht und Dunkel begegnen sich. Wir feiern die Fülle und schreien unsere Wut hinaus. Es ist genug.

Tanz mit dem Feuer

Die Nacht zum ersten Mai, das ist Beltane, das Fest des leuchtenden Feuers. Des eigenen leuchtenden Feuers, des Feuers der Sonne, des Feuers der Erde und des Feuers der Liebe, die alles und alle verbindet. Was die Kirche zum Hexentreiben mit dem Teufel gemacht hat, ist der leidenschaftliche Tanz der schöpferischen wilden Frauen mit den Kräften der Erde.

Dieser Tanz kann auf vielerlei Arten getanzt werden: wild oder langsam, stürmisch oder vorsichtig, nach innen gewandt oder nach außen explodierend, allein oder in der Gemeinschaft. Immer ist es ein Tanz des Körpers. Er steht im Mittelpunkt, wird genährt, verwöhnt, geweckt, gestreichelt, gespürt, geliebt. Und immer ist es ein Tanz, der die eigenen Grenzen und Möglichkeiten beachtet. Liebe beginnt mit der Liebe zu sich selbst, hört damit nicht auf und führt zu einem Tanz mit dem Feuer der Veränderung.


Leg dich in die Wiese und stell dir vor, das Feuer der Erde weckt jede deiner Zellen.

Spring mit vertrauten Menschen übers Feuer und wünsche dir für dich, deine Liebsten, die Welt ein paar Sterne vom Himmel.

Tanze, trommele, singe aus vollem Herzen.

Lass dich massieren und schenke den Zauber der liebevollen Berührung anderen.

Koche dir und/oder Freundinnen etwas Leckeres und danke dem Universum für all die Zutaten.

Gehe zu einem Platz in der Natur und schreie deine Wut hinaus.

Gehe zu einem Platz in der Natur und verbinde deinen Körper mit dem Körper der Erde.

All das kannst du ausprobieren im Laufe des Monats Mai – auch, wenn du ein Mann bist. Schau, wie du dich selbst immer mehr spürst und mit deiner Feuerenergie in Schönheit in die Welt gehen kannst.

Das Löwenmäulchen entfaltet seine Blüte in ihrer vollen Pracht.

Pflanze der Kriegerin


Die zarten Blätter schmecken im Frühlings-Wildkräuter-Salat

Die Augenbraue der Venus ist eine atemberaubend vielfältige Heilpflanze. In diesen Tagen zeigt sie sich mit ihren jungen, fein gefiederten Blättchen von ihrer zartesten Seite. Die Schafgarbe, wie sie auch genannt wird, ist eine Kriegerinnen-Pflanze. Ihre Kämpfe kennen keine Feinde. In ihrer Welt gibt es kein Entweder-Oder. Sie ist standhaft und zäh genauso wie weich und liebevoll.

Pflanzen haben keine bösen oder guten Absichten, sie kommunizieren anders, sind mit den Maßstäben unseres derzeitigen Menschseins kaum zu erfassen. Deshalb ist es von Nutzen, sie genau wahrzunehmen. Denn sie können uns in ihrer (Vor-)Urteilslosigkeit, ihrem Verwurzeltsein in der Materie und ihren Verbindungen zur feinstofflichen Welt dabei helfen, uns aus dem Strudel aus Misstrauen, Getrenntsein und Gewalt herauszuziehen.

Die Schafgarbe ist für mich eine starke Helferin. Sie ist eine der ältesten Heilpflanzen der Menschen, die Wissenschaft hat mittlerweile über 100 heilwirksame Substanzen in ihr gefunden – eine beeindruckende Zahl, doch die ist lediglich dazu geeignet, unseren aufklärerischen Verstand zu beruhigen. Denn was zählt, ist die Pflanze in ihrer ausgefeilten, einmaligen Gesamtkomposition, worauf zum Beispiel die Kräuterfrauen Ursula Stumpf und Ursula Gerhold hinweisen.

Am Anfang des Kennenlernens steht die Kommunikation mit der Pflanze, bestenfalls über den Jahreszyklus hindurch. Die Schafgarbe ist immer präsent – im Frühjahr mit ihren jungen Blättern, die den Boden berühren, bis in den Winter mit ihren hochragenden trockenen Stängeln. Nehmt die Pflanze mit allen euren Sinnen wahr, streicht über die zarten jungen Blätter, der sie ihren schönsten Namen – Augenbraue der Venus – verdankt, seht sie in ihren aufrechten, kantigen, schwer zu brechenden Stängeln emporwachsen, staunt im Sommer über die Vielfalt ihrer Blütenblättchen, die sich zu einer Dolde vereinen und riecht den herb-süßen Duft. Dann wisst ihr schon jede Menge über dieses Heilkraut.

Benutzt auch den siebten Sinn, setzt euch zu der Pflanze, schließt die Augen, spürt euren Körper und die Verbindung zur Erde, dann nehmt über euer Herz Kontakt mit der Pflanze auf und bittet sie, mit euch zu reden. Dabei können Worte auftauchen, Bilder, Farben. Lasst sein, was sein will. Die Schafgarbe wurde früher in Tempeln aufbewahrt, und die Chinesen werfen das I Ging mit ihren Stängeln. Sie hilft beim Orakeln und Träumen genauso wie beim Grenzen ziehen und den eigenen Raum definieren.

Die Schafgrabe tut das, was Heilerinnen gemeinhin tun: Sie gleicht aus, bringt uns zurück in unsere Mitte und unterstützt uns, im (Lebens-)Fluss zu sein. Für mich ist sie eine Pflanze der Kriegerin und des weiblichen Kriegers, in deren Kämpfen die Regeln des Universums gelten. Sie verbindet Zähigkeit mit Zartheit, Stärke entsteht aus der Vielfalt, das Ziel ist die Wiederherstellung des Gleichgewichts. Und sie lässt kein Blut fließen, sondern stillt es selbst bei groben Verletzungen.

Es gibt viele starke Pflanzenhelferinnen und -helfer. Die Pflanze, die die eine begeistert, muss nicht die Zauberpflanze des anderen sein. Am besten ist es, die eigenen Verbündeten zu finden.

Wer mehr über die Schafgarbe und andere Pflanzen wissen will, dem empfehle ich meine Lieblingsbücher über Heil- und Wildpflanzen:

Susanne Fischer-Rizzi, Medizin der Erde
Anne McIntyre, Das große Buch der heilenden Pflanzen
Luisa Francia, Weidenfrau und Wiesenkönigin
Ursula Stumpf, Kräuter. Gefährten am Wegesrand
Wolf-Dieter Storl, Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor
Steffen Guido Fleischhauer u.a., Essbare Wildpflanzen
D. Aichele, M. Golte-Bechtle, Was blüht denn da?