Es gibt so viele Wahrheiten wie es Menschen gibt, und es gibt ein einziges Gesetzeswerk, das unumstößlich ist: das der Erde inmitten eines für uns unüberschaubaren Universums. Geflüchtet vor Angst in den Rausch des kontrollierenden Machens mag es banal klingen: aus dem Kreislauf des Werdens, Seins und Vergehens werden wir uns bei allen Science-Fiction-Fantasien nicht herauskatapultieren können. Und wenn wir es versuchen, bezahlen wir mit unserer Seele. Davon erzählen tausende Geschichten.
Die Krähen, sagen die Schamaninnen und Schamanen, kennen und hüten die Heiligen Gesetze. Sie treffen sich zum großen Palaver in den Buchen, auf Dachspitzen sitzen sie hoch oben still und wach, im Park verstreuen sie den Wohlstands-Verpackungsmüll, ihre Rufe sind Begleiter durch den Tag. Sie nerven, bis sie gehört werden. „Beachtet die Heiligen Gesetze!“ Dir selbst und deiner Verbindungen bewusst, bietet diese Gesetzeswiese dir ein kreisrundes Spielfeld voller wieder zu erinnernder Möglichkeiten.
Corona hüpfte Mama Panik auf den Schoß. Die erschreckte sich gleich über die Maßen. So kann’s nicht weitergehen, rief Papa Kontrolletti erbost, jetzt gibt’s aber Stubenarrest. Corona sprang ihm flink davon, zeigte Tante Besserwisserin eine lange Nase und zwickte Onkel Gehorsam ins Bein. Schnell lief sie zu Großmutter Universum. Die nahm die Kleine besänftigend in den Arm, stellte ihr die Geschwister Freier Geist und Lebensfreude zur Seite und schickte sie zurück nach Hause.
Die Fülle stößt auf die Angst und will sie behutsam in den Arm nehmen. Die Angst will nicht gekuschelt werden. Die Fülle geht auf Abstand. Und bleibt. Weil sie ist.
Die Leidenschaft trifft auf die Traurigkeit und will sie zum Tanzen bringen. Die Traurigkeit will ihre Ruhe. Die Leidenschaft geht auf Abstand. Und bleibt. Weil sie gebraucht wird.
Wenn im Außen wenig zu klappen scheint, sich Unzufriedenheit einschleichen und Ungeduld breit machen will, lohnt ein Blick in den klaren Nachthimmel. Sternschnuppen laden ein zum Wünschen, und mit der schwindenden Mondin ist das vertrauensvolle Loslassen einfacher als das angstvolle Festhalten. Was bleibt, ist, für die Fülle, Freude und Sinnlichkeit Platz zu schaffen.
Wachsen und Vergehen: Buschwindröschen gelangen an eine natürliche Grenze
Das winzige Virus ist ungemein beweglich, doch für die Wissenschaft nur eine infektiöse Struktur, also nicht lebendig. Wäre es ein Lebewesen, gehörte es zu den großen schamanischen Krafttieren. Sein Themenspektrum wäre breit gefächert: Vorstellungen, Ängste, Schutz, Kontrolle, Mitgefühl, das Sein im Hier und Jetzt. Die Medizin des Virus ist eine mächtige. „Grenzen“ könnte die Überschrift des entsprechenden Kapitels im Krafttierbuch lauten. Also, mal angenommen, wir würden uns öffnen für die Weisheit des Virus:
Du denkst, du hast alles im Griff, alles ist machbar? Unsichtbar für dein Auge und absolut lautlos findet das Virus seinen Weg zu dir und überschreitet sämtliche Grenzen, die du in deinem Bestreben nach Kontrolle errichtet hast. Es weist dich hin auf deine Grenz-Setzungen und auf deine Grenz-Überschreitungen.
Grenzen haben durchaus einen Sinn. Du besitzt Grenzen, um dich selbst gegenüber anderen zu definieren und um dich zu schützen. Das Virus fordert dich auf, dir über deinen Schutz Gedanken zu machen. Wie schützt du dich? Schutz bedeutet oft, sich gegen einen Feind zu verteidigen, sich abzuschotten, andere und anderes auszugrenzen, im extremsten Fall zu zerstören. Das Virus lässt sich nicht einfach zerstören. Es erinnert dich daran, dass wahrer Schutz nicht dadurch entsteht, dass du das vermeintlich schlechte Andersartige schwächst, sondern indem du dein Eigenes stärkst. Dadurch gewinnen deine Grenzen Konturen und bleiben durchlässig für die Erfahrungen, die dir das Leben bieten mag. Bist du selbst in deiner Kraft, kannst du dein Gegenüber in seiner Kraft sein lassen. Die Botschaft des Virus ist zudem eine sehr materielle: Wenn dein Immunsystem stark ist, du es nicht unnötig unter Stress setzt und achtsam und genussvoll nährst, respektiere ich deine Grenzen.
Das Virus kommt plötzlich und unerwartet in dein Leben und hat die Macht, vieles außer Kraft zu setzen, von dem du glaubtest, es sei unumstößlich. Als wollte es sagen: Überprüfe deine Gesetze und Gewohnheiten, schau, was du wirklich brauchst, beachte deine Ängste, doch lass dich nicht von ihnen beherrschen, und (an-)erkenne deine Grenzen, deren größte und durchlässigste der Tod ist. Du bist einzigartig und mit allem verbunden. Bleib bei dir und bleib offen für dein Gegenüber. Auch das Virus ist ein Teil deiner Welt.
Ein Wortschwall überrollt mich, der
Knall von Wortkugeln dröhnt in meinen Ohren, Worthülsen liegen zu
meinen Füßen. Worte erheben sich zu Mauern, reißen Brücken ein.
Ich selbst finde keine Worte, will keine suchen. Die, die durch die
Luft sausen, warten nur scheinbar darauf, eingefangen und ausgespuckt
zu werden. Sie stimmen nicht mehr. Drei Krähen kreisen über mir.
„Krah, krah, krah!!!“ „Ihr nervt! Könnt ihr nicht wenigstens
mal still sein?“, schreie ich wütend nach oben. Platsch, scheißt
mir eine ein paar Worte aufs Haupt: „Gib es zu! Auch du hast
Angst.“
Standhalten oder mitgehen, loslassen oder festhalten, sich wehren oder sich hingeben: Die satten Wiesen, durch die der Wind bläst, kennen kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch. Die Grashalme und Wildblumen biegen sich in einem gemeinsamen Tanz, sie fließen dahin, überlassen sich dem Sturm und bleiben doch fest verwurzelt stehen in den steilen Berghängen.
Der Widerspruch zwischen standhalten und mitgehen löst sich auf. In dem Bewegen und gleichzeitigem Stehenbleiben ist es, als ob die Wiesen Energie im Hier und Jetzt aufnehmen, ihren Teil behalten und das Meiste einfach weitergeben. Es ist, als ob sich ein Strom ergießt über die Kuppen der Hügel und hinauffließt in die oberhalb thronende geheimnisvolle Bergwand.
Die Bergwand betrachte ich lange und immer wieder – ohne Ziel, ohne Grund, ohne Absicht. Sie zieht mich in ihren Bann in ihrer Unerschütterlichkeit und Mächtigkeit, in ihrer Stille und Unergründlichkeit. Ich denke nicht, ich schaue. Mein Kopf darf leer werden, was mir Angst machen kann und im Moment einfach nur befreiend ist. Ich sehe. Die ruhigen Berge, die wogenden Wiesen, die rauschenden Bäume, den Bach im Tal und das Hausrotschwanz-Pärchen über mir, das seine Jungen füttert. Und wenn ich mich zur gegebenen Zeit bewegen werde, dann will ich dabei gut verwurzelt sein.