Weltraum-Schätze

Wir schreiben das Jahr 2020. Der Astrophysiker Karl Schneider blickt dorthin, wo der Mars sein könnte und träumt davon, auf dem fernen Planeten eines Tages einen Schatz zu heben. Da landet vor seiner Haustür ein Raumschiff. Ein Wesen, das aussieht wie ein Mensch, steigt aus, und sagt: „Hallo, ich bin auf der Suche nach einem Schatz.“

Karl Schneider zwickt sich schnell in die Hand. Kein Zweifel, er ist wach. Das Wesen kommt näher und lächelt ihn an. Schneider staunt über die indigo-farbene Haarpracht seines Gegenübers. Vielleicht der verkleidete Astro-Alex, überlegt er. „Hallo“, sagt der Astrophysiker. „Seid ihr vom Fernsehen?“ „Fernsehen?“, fragt das Wesen zurück, „was ist das?“ Schneider räuspert sich und stellt sich vor. „Und wer sind Sie?“ „Ein Schatzsucher“, antwortet das Wesen. Er habe sich von einem fernen Planeten auf die Reise zur Erde gemacht, weil es hier etwas ganz Besonderes, Einmaliges gebe, erklärt der Schatzsucher, der also tatsächlich ein Außerirdischer sein will. Schneider hat gerade Urlaub und ihm ist langweilig. Kurz überlegt er noch, dann beschließt er, dem seltsamem Fremden zu glauben. „Gut“, sagt er zu dem Besucher, „dann zeige ich dir einfach, was es bei uns Besonderes gibt.“

Also machen sich der Astrophysiker und der Außerirdische auf die Suche nach dem ganz Besonderen. „Wir haben jetzt immer mehr Autos, die mit Strom betrieben werden, und bald können sie alle ohne Fahrer fahren“, erklärt Schneider. „Aha“, sagt der Schatzsucher. Ein Mädchen hüpft über den Gehsteig. Der Außerirdische lächelt. Merkwürdig berührt, irgendwie, findet Schneider. Das Mädchen sei wohl auf dem Weg in die Kita. „Kita?“, fragt der Außerirdische. Schneider erklärt ihm, was Kitas sind – und was Schulen, Nachhilfeunterricht und Elite-Universitäten. „Aha“, sagt der Schatzsucher.

Sie kommen zu einer riesigen Baustelle. „Das ist was ganz Besonderes“, sagt der Astrophysiker stolz. „Hier entstehen die größten Windkraft- und Photovoltaikanlagen der Welt.“ Dann könnten endlich sämtliche Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. „Aha“, sagt der Außerirdische. Eine Frau mit einem Hund kommt vorbei. Der Hund läuft schwanzwedelnd zu dem Schatzsucher. „Was bist du denn für ein Toller“, sagt der und streichelt das Tier. Irgendwie wehmütig. Schneider erklärt ihm, was eine Hundezucht ist – und was Schweinezucht, Pflanzenzucht und Gentechnik. „Aha“, sagt der Außerirdische.

Vor einem Bankautomaten steht eine Menschenschlange. „Es dauert nicht mehr lange, dann brauchen wir kein Geld mehr, um zu bezahlen“, sagt der Astrophysiker. Und es gebe schon eine rein virtuelle Währung. Etwas nie Dagewesenes. „Aha“, sagt der Schatzsucher. Ein Mann sitzt vor ihm auf der Straße. Der Außerirdische will sich neben ihn setzen. Seltsam erfreut. Schneider hält ihn zurück und erklärt ihm, was ein Obdachloser ist – und was ein Hausbesitzer, ein Angestellter, ein Unternehmer, ein Börsenmakler und ein Global Player. „Aha“, sagte der Außerirdische.

Der Urlaub des Astrophysikers neigt sich dem Ende entgegen. „Okay“, sagt er ungeduldig, da sich die Begeisterung des Außerirdischen über das Gezeigte in Grenzen hält. „Du willst also wissen, was tatsächlich unsere größten Schätze sind?“, fragt Schneider, holt Luft und sagt siegesgewiss: „Das sind Rohstoffe, Gold, Diamanten, Billionen von Dollar und Euro, Aktienpakete, Immobilien..“ „Lass uns hier anhalten“, unterbricht ihn der Außerirdische. Er starrt gebannt aus dem Autofenster. Schneider blickt hinterher und sieht nichts außer Bäumen. Sie steigen aus. Unvermittelt nimmt der Schatzsucher den Astrophysiker freudestrahlend in die Arme und drückt ihn sehr fest. „Danke“, flüsterte er ihm ins Ohr, und im nächsten Moment läuft der Schatzsucher in den Wald. „Lass uns einen Spaziergang machen“, ruft er ausgelassen. Schneider folgt ihm völlig verdattert. Der Außerirdische beugt sich zu einem Strauch, pflückt ein paar Heidelbeeren, hält sie dem Astrophysiker hin und sagt traurig: „Wir hatten vergessen, dass man Geld nicht essen kann.“ Schneider kommen die Worte irgendwie bekannt vor. Er nimmt die Beeren in den Mund. Sie sind etwas ganz Besonderes.


*Ich las einen Zeitungsartikel über Zukunftspläne der Wirtschaft, Rohstoffe auf anderen Planeten und Asteroiden auszubeuten. Darauf fiel mir diese Geschichte ein.