Coyote in einer ver-rückten Welt, Teil 3

Die Höhle war kalt und modrig. Coyote zog sie der Welt draußen vor. Er rollte sich noch kleiner zusammen. Die Menschen waren ihm schnurzpiepegal. Sie wollten nichts von ihm wissen. Ja, neuerdings mieden sie ihn regelrecht. Dabei hatte er nun wirklich keine Ähnlichkeit mit einer chinesischen Fledermaus.

Er dachte nach – über das Leben und über den Tod, als plötzlich ein heller Strahl in sein dunkles Domizil drang. Coyote schnappte nach Luft. „Nein, bitte nicht, ich will noch nicht sterben!“, schrie er und legte eine Pfote an die Brust. „Weiteratmen“, rief ihm eine fröhliche Stimme entgegen. Caote, seine mysteriöse Begleiterin, lugte in die Höhle. Coyote erkannte sie an ihrer Kopfbedeckung aus allerlei Vogelfedern, die sie sich in die Stirn gezogen hatte. Den Rest des Gesichts verdeckte eine dieser Masken, mit denen sich die Menschen zurzeit vor ihrer Umwelt verbargen. Caotes Maske war sehr hipp. Zwei kleine Seehunde spielten darauf mit einem Ball voller lustiger kleiner Noppen.

Caote nahm die Maske ab und holte tief Luft. „Ich habe mich ein bisschen unter den Menschen umgeschaut“, sagte sie. „Was du gerade machst, nennen sie Quarantäne.“ Caote kratzte sich unter ihrem Hut. „Ist vielleicht wie bei dir ein Kommunikationsproblem“, sagte sie. „Du willst keinen Kontakt zu Menschen, die Menschen wollen keinen Kontakt mit einem Virus.“ Caote stellte ihren abgewetzten Rucksack vor Coyote und zauberte Lammkoteletts heraus. Coyote machte sich über das Fleisch her und war für wenige Minuten sehr zufrieden.

Kaum hatte Coyote den letzten Bissen hinuntergeschluckt, sprang Caote auf. „Mir scheint, es hat mich gerade eine Nachricht der Esche erreicht“, sagte sie und lauschte in den Wind. Coyote verdrehte die Augen. Seine Begleiterin hörte öfter mal Stimmen – nicht nur die von Bäumen. „Sie fragt, worauf du noch wartest.“ Coyote seufzte und dachte im Stillen: Ich habe keinen Mumm mehr in den Knochen. „Hab‘ ich der Esche auch gesagt“, sagte Caote schulterzuckend. Coyote knurrte grimmig, stieß sich blitzschnell vom Boden ab, fuhr seine Krallen Richtung Caote aus und stürzte sich auf sie. Gewandt befreite sich Caote aus dem Griff der Pfoten und rannte davon. „Hey, da geht noch was, Alter“, rief sie Coyote zu. Nach einer wilden Verfolgungsjagd ließen sich beide lachend in eine Frühlingswiese fallen. Da wusste Caote, dass sie der Lösung ihrer dritten Aufgabe schon sehr nahe waren.

Zwei Aufgaben der Esche hatte Coyote mit Caotes Unterstützung bereits erfüllt, und doch fühlte er sich seinem Ziel keinen Schritt näher gekommen. Die Menschen wollten von seinesgleichen nichts mehr lernen. Die Verrücktheiten und Anwandlungen von Größenwahn des Kojoten waren nichts im Vergleich zu ihren. „Aber du kennst im Gegensatz zu ihnen die Tricks, aus dem Schlamassel auch wieder herauszukommen“, gab Caote zu bedenken. Coyote war es immer noch ein Rätsel, wie ihm die Aufgaben eines alten Baumes dabei helfen sollten, dass die Menschen ihn wieder beachteten. „Die dritte Aufgabe hört sich so an, als sei sie von einem fernen Stern gechannelt“, sagte er höhnisch. „Finde heraus, wonach sich eine winzige Maus und eine kleine Fee ebenso sehnen wie ein großer Junge und eine alte Frau“, lautete sie. „Ich hasse diesen esoterischen Mist“, brummte Coyote. Caote lachte: „Ich auch!“ Doch sie ahnte, dass die alte Esche eine echte Magierin war. Coyote irgendwie auch. So machten sie sich also auf den Weg.

Coyote trottete neben Caote durch die Straßen, als eine junge Frau ohne ihn zu sehen schnurstracks auf ihn zulief. „Pass auf!“, rief Coyote, da fiel die Frau schon über ihn drüber. Ihr Smartphone flog durch die Luft und landete in Caotes ausgestreckter Hand. „Hui, gut gefangen.“ Die Frau atmete erleichtert durch und rappelte sich auf. Dann versuchte sie zu verstehen, wen sie vor sich hatte. „Whow“, rief sie, „ein Kojote und ein Hippiemädchen!“ Sie tippte schnell auf ihrem Smartphone. „Seid ihr auf Instagramm? Ich möchte dich als Follower, Kojote. Suuuper!“ Der Kojote und das vermeintliche Hippiemädchen sahen sich verständnislos an. „Follower?“, fragte Caote. „Verehrer, heißt das“, flüsterte Coyote und checkte, ob die junge Frau ihm gefallen könnte. Mhm, sie war ein Mensch. Ein Mensch, wie sich bald herausstellte, der zu einer „krassen Community“ gehörte. Caote fand sie schrill und sehr einsam. Coyote wurde zum Follower, und die junge Frau eilte freudig davon.

Die große Stadt war ungewöhnlich leer. Am Rande einer Bahnunterführung saß eine alte Frau auf ihrem Rollator und fütterte Tauben. Ausgelassen sprang Coyote in die Gruppe der Vögel, die wild aufflatterten und davonflogen. Die alte Frau begann zu weinen. „Das sind meine Freunde, meine Freunde“, schluchzte sie leise. Coyote wollte sich entschuldigen. Die Frau zitterte heftig vor Angst, als er sich ihr näherte. „Der tut nichts“, sagte Caote, „der will nur gestreichelt werden.“ Schelmisch grinste sie Coyote zu, der sie am liebsten erwürgt hätte. Doch die alte Dame blickte ihn so traurig an, dass Coyote sich wie ein braver Hund neben sie setzte und sie mit seiner Schnauze anstupste. Die alte Dame kraulte ihn und erzählte den beiden von ihren Kindern und Enkelkindern, die auf der anderen Seite des Erdballs lebten.

Nachdenklich und ohne Ziel ließen sich der Coyote und Caote weiter treiben. „Was bist du denn für ein haariges, hässliches Biest?“ Ein schon sehr großer Junge stellte sich ihnen in den Weg. In seinen Händen hielt er einen Fußball, den er Coyote mit voller Wucht gegen die Nase warf. Coyote fletschte die Zähne, da warf sich Caote dazwischen. „Was bist du für eine dämliche Zicke?“, schrie der Junge. Caote erklärte ihm in sehr schönen Worten, warum sie keine dämliche Ziege und Coyote kein hässliches Biest war, nahm den Ball, jonglierte ihn gekonnt mit dem Fuß und köpfte ihn zu dem Jungen. Die drei kickten gemeinsam, bis es dunkel wurde.

Coyote und Caote betrachteten die volle Mondin. Es war sehr still. Da flitzte eine Maus an ihnen vorbei, gefolgt von einem kleinen Zwerg. Eine gitzernde Fee schwebte dahin, und ein Wesen, für das sie keinen Namen kannten, stapfte über die Wiese. Sie waren alle in dieselbe Richtung unterwegs. „Lass uns mal schauen.“ Caote war neugierig. Wenige Schritte entfernt saß ein junger Mann mit gekreuzten Beinen auf einer Matte. Um ihn herum hatten sich der Zwerg, die Maus, die Fee und das unbekannte Wesen versammelt. Sie sahen den Mann gespannt an, doch der sah sie nicht. Seine Augen waren geschlossen. „Die Menschen nennen das meditieren“, flüsterte Caote. Coyote setzte sich neben die Maus, Caote neben den Zwerg. So saßen sie einträchtig beieinander. Plötzlich stöhnte der junge Mann laut auf und schlug mit den Fäusten auf den Boden. Die Maus, die Fee, der Zwerg, das unbekannte Wesen, Caote und Coyote flitzten erschrocken davon. „Verdammt! Ich sehe nichts!“, rief der junge Mann, vergrub den Kopf zwischen den Armen und schimpfte mit sich selbst.

„Das wird mir langsam alles zu ernst!“ Coyote lief missmutig im Kreis. „Ich will Lammkoteletts essen und schmutzige Witze erzählen“, rief er. „Ich will Musik machen und tanzen“, gab Caote zurück. „Ich will eine Kojotin lieben“, erwiderte Coyote. „Ich will eine Frau küssen und einen Mann in den Arm nehmen“, sagte Caote. „Ich will mit einer Maus einen Baum hochjagen.“ „Und ich mit einem Kind auf einen Baum klettern.“

„Und ich will, dass ihr zu mir kommt, aber nicht allein!“ Coyote und Caote sahen sich fragend um. „Wer hat das gesagt?“ Caote lächelte. „Die Esche!“ So luden die beiden Aufgaben-Löser*innen ein paar Erdenbewohner ein, mit ihnen die Esche zu besuchen: die junge Frau von Instagramm, die alte Dame mit ihren Tauben, den fußballspielenden Jungen, die Maus, die Fee, den Mann auf der Yoga-Matte, den Zwerg und das Wesen, für das sie noch keinen Namen kannten. Wer sich ihnen auf ihrem Weg anschließen wollte, war herzlich willkommen. Sie begegneten dem Eichhörnchen, das für Coyote drei Eicheln ausgegraben hatte, dem Mitbewohner der Klugscheißerin Alexa, dem kleinen Mädchen, das sich gerne in der Wiese wälzte, dem Lieblingspizzabäcker und dem Lieblingstürken, dem Mann in piekfeinem Anzug und der Frau im superschicken Business-Kostüm, die Coyote und Caote eine Geruchsprobe verweigert hatten. Sie alle gingen mit ihnen.

Als sie die alte Esche in ihrem Wald erreichten, staunten die Menschen, Tiere und anderen Wesen nicht schlecht. Die köstlichsten Speisen und Getränke waren unter dem lichten Blätterwerk des Baumes ausgebreitet. Jede und jeder fand einen passenden Platz, und sie feierten miteinander das, wonach sie sich alle sehnten: Gemeinschaft.

Medizin der Natur

Für eine Weile besteht meine Welt aus einem Reiher und mir am Ufer des Rheins. Die Gedanken ruhen, die Seele kann baumeln. Ich sinke in Bilder, die die Kraft haben zu heilen und tauche wieder auf, um im Leben zu sein statt am Leben zu sein.

Geschichten erinnern

Das Rotkehlchen erzählt

Das Lächeln der Vollmondin entwischt dem distanzierten Kamerablick, die Unterhaltung der Rotkehlchen entzieht sich der distanzlosen Teilen-Funktion. Respektvolles Schauen, Hören, Staunen halten den passenden Abstand fernab ersonnener Regeln.

„Mit allen Sinnen be-greifen“ lässt sich in seiner ungeahnten Vielfalt erproben. Dabei offenbaren sich Geschichten über das Land und die, die auf, mit und in ihm leben, die etwa nur die geheimnisvolle Mondin und das kleine Rotkehlchen zu erzählen wissen. Selbst wenn diese Geschichten nicht gleich zu verstehen sind, finden sie ihren Platz im Gedächtnis unserer Körper. Mag sein, dass sie uns auch erinnern an fast Vergessenes im reichen Schatz unserer ureigenen und gemeinsamen inneren Weisheits-Bibliotheken.

Krafttier Virus

Wachsen und Vergehen: Buschwindröschen gelangen an eine natürliche Grenze

Das winzige Virus ist ungemein beweglich, doch für die Wissenschaft nur eine infektiöse Struktur, also nicht lebendig. Wäre es ein Lebewesen, gehörte es zu den großen schamanischen Krafttieren. Sein Themenspektrum wäre breit gefächert: Vorstellungen, Ängste, Schutz, Kontrolle, Mitgefühl, das Sein im Hier und Jetzt. Die Medizin des Virus ist eine mächtige. „Grenzen“ könnte die Überschrift des entsprechenden Kapitels im Krafttierbuch lauten. Also, mal angenommen, wir würden uns öffnen für die Weisheit des Virus:

Du denkst, du hast alles im Griff, alles ist machbar? Unsichtbar für dein Auge und absolut lautlos findet das Virus seinen Weg zu dir und überschreitet sämtliche Grenzen, die du in deinem Bestreben nach Kontrolle errichtet hast. Es weist dich hin auf deine Grenz-Setzungen und auf deine Grenz-Überschreitungen.

Grenzen haben durchaus einen Sinn. Du besitzt Grenzen, um dich selbst gegenüber anderen zu definieren und um dich zu schützen. Das Virus fordert dich auf, dir über deinen Schutz Gedanken zu machen. Wie schützt du dich? Schutz bedeutet oft, sich gegen einen Feind zu verteidigen, sich abzuschotten, andere und anderes auszugrenzen, im extremsten Fall zu zerstören. Das Virus lässt sich nicht einfach zerstören. Es erinnert dich daran, dass wahrer Schutz nicht dadurch entsteht, dass du das vermeintlich schlechte Andersartige schwächst, sondern indem du dein Eigenes stärkst. Dadurch gewinnen deine Grenzen Konturen und bleiben durchlässig für die Erfahrungen, die dir das Leben bieten mag. Bist du selbst in deiner Kraft, kannst du dein Gegenüber in seiner Kraft sein lassen. Die Botschaft des Virus ist zudem eine sehr materielle: Wenn dein Immunsystem stark ist, du es nicht unnötig unter Stress setzt und achtsam und genussvoll nährst, respektiere ich deine Grenzen.

Das Virus kommt plötzlich und unerwartet in dein Leben und hat die Macht, vieles außer Kraft zu setzen, von dem du glaubtest, es sei unumstößlich. Als wollte es sagen: Überprüfe deine Gesetze und Gewohnheiten, schau, was du wirklich brauchst, beachte deine Ängste, doch lass dich nicht von ihnen beherrschen, und (an-)erkenne deine Grenzen, deren größte und durchlässigste der Tod ist. Du bist einzigartig und mit allem verbunden. Bleib bei dir und bleib offen für dein Gegenüber. Auch das Virus ist ein Teil deiner Welt.

Krähenworte

Keine Angst vor schwarzen Vögeln

Ein Wortschwall überrollt mich, der Knall von Wortkugeln dröhnt in meinen Ohren, Worthülsen liegen zu meinen Füßen. Worte erheben sich zu Mauern, reißen Brücken ein. Ich selbst finde keine Worte, will keine suchen. Die, die durch die Luft sausen, warten nur scheinbar darauf, eingefangen und ausgespuckt zu werden. Sie stimmen nicht mehr. Drei Krähen kreisen über mir. „Krah, krah, krah!!!“ „Ihr nervt! Könnt ihr nicht wenigstens mal still sein?“, schreie ich wütend nach oben. Platsch, scheißt mir eine ein paar Worte aufs Haupt: „Gib es zu! Auch du hast Angst.“

Sich neugierig einfügen

Was hat mir das Leben zu bieten?

Wunderfitzig die Welt betrachten heißt, sich staunend dem Leben öffnen. Wunderfitzig ist ein schönes schwäbisches Wort für neugierig und beschreibt eine Haltung, die die Kraft hat, Ängste und Vorurteile aufzulösen. Neugierige  Augen, wunderfitzige Herzen sehen die Möglichkeiten statt künstlich geschaffener Grenzen. Das Eichhörnchen verkörpert diese Eigenschaft. Ohne Furcht springt es meterweit in schwindelerregender Höhe von Ast zu Ast. In den Baumwipfeln ist das flinke Wesen ebenso zu Hause wie auf der Erde, wo es die Früchte des Sommers erntet. Wunderfitzig geht es auf Erkundungstour und findet allerlei Nährendes. Zum Beispiel die Mirabellen vor meinem Fenster. Jeden Tag springt es aus dem Efeu herbei, klettert auf das Bäumchen und nimmt sich eine Frucht. Ich teile gerne mit dem bescheidenen Mitesser, der mich dafür zum Lächeln bringt.

In den Parks und Wäldern huschen die Eichhörnchen bald emsig über den Boden. Sie sammeln für den Winter, vor allem Eicheln, Bucheckern und Fichtenzapfen. Ihre Beute vergraben sie in der Erde, und nur etwa die Hälfte davon essen sie in der kalten Jahreszeit. Der Rest der Samen und Nüsse überwintert gut geborgen und kann im Frühling keimen. So ist der Selbstversorger Eichhörnchen ganz nebenbei Waldgärtner und Naturschützer. Es muss nicht die Erde retten, gegen den Klimawandel kämpfen, seine Resilienz erhöhen. Wunderfitzig fügt sich das Eichhörnchen einfach ein in den Kreislauf des Lebens.  

Der Löwe brüllt für das Sein

Die Schnitterin geht über die Wiese und schneidet die Heilkräuter. Auf dem Feld holt sie die erste Ernte ein. Die Sense, die sie führt, bringt den Tod, der das Leben nährt. Ohne den klaren Schnitt verderben die herangereiften Früchte. Ein heißer Sommerwind wirbelt die Blätter auf, die ausgedörrt auf dem trockenen Boden liegen. Die Angst vor der Veränderung will sich von den Köpfen in unsere Körper ausbreiten. „Ich feiere das Leben“, brüllt der Löwe dazwischen, „weil ich genau dazu auf der Erde bin!“ Wie die Schnitterin nimmt er das, was ist und das, was er braucht. Nicht weniger, nicht mehr, in klarer Entschiedenheit.

Entschiedenheit heißt weder für die Schnitterin noch für den Löwen, mit Scheuklappen, nur die eigenen Interessen im Blick, über die Erde zu wüten. Entschiedenheit heißt für sie, sich für das Sein zu entscheiden. Der Löwe in jeder und jedem von uns sagt majetätisch: „Ich bin“ und gibt sich dem in unerschütterlichem Optimismus hin. Egal, wer oder was du sonst noch bist. Und egal, ob du im Moment überhaupt weißt, wer du bist.

Leben im Augenblick begreifen

Sie ist auf der Erde, um ihre Netze zu spinnen

Wie sind die Dinge, Lebewesen, Zustände in ihrem ursprünglichen Sein, bevor wir anfangen sie einzuordnen, zuzuordnen, abzuwägen, sie nützlich, schön, sympathisch, schrecklich, unmöglich zu finden? Es ist dieser kurze Augenblick des puren Wahrnehmens, für-Wahr-nehmens, der die Essenz des Lebens enthält.

Manchmal überkommt es mich, und ich will nichts mehr wissen aus zweiter Hand, sondern alles direkt be-greifen lernen. Wer könnte mir mehr über eine Rose erzählen als eine Rose? Ich frage die Spinne, warum sie ihr Netz vor meine Tür spinnt, wo sie doch wissen müsste, dass ich gleich hinausgehe und ihr Werk zerstören werde. Doch die Spinne denkt nicht daran, sich darüber Gedanken zu machen. Sie ist auf der Erde, um ihre Netze zu spinnen. Auch wenn morgen die Welt untergeht.

Coyote in einer ver-rückten Welt, Teil 2

Coyote war ausnahmsweise sehr zufrieden mit der Welt. Die Sonne schien seit Tagen warm vom Himmel. Er hatte die drei Eicheln, die drei Mal drei Mondinnen kein Licht gesehen hatten mit Hilfe eines Eichhörnchens gefunden. Und an seiner Seite ging eine ganz brauchbare Helferin – dieses seltsame Wesen, weder Kind noch Frau noch Mann und doch alles zusammen, das ihm irgendwie zugelaufen war. Er kannte mittlerweile seinen Namen: Caote – „mit C“, wie es, er, sie augenzwinkernd ergänzte. Coyote hatte die Stirn gerunzelt. Coyote, Caote. Er knurrte leicht, sagte aber nichts. Immerhin konnte er es, er, sie nun ansprechen. „Sag ,sie‘. Ist einfacher“, ergänzte Caote.

„Pass auf, Caote!“, rief Coyote, „die Eicheln fallen dir noch aus der Tasche!“ Caote hatte wieder einmal ein Rad gedreht und war aus dem Stand über Kopf gesprungen. Sie lachte nur und rief übermütig: „Die Esche wird die Eicheln schon bekommen. Keine Angst, du wirst dein Glied behalten.“ Sie hatten an einem Abend am Feuer gesessen, und Lagerfeuer machten Coyote immer sehr sentimental und sehr gesprächig. Da hatte er Caote von dem verlorenen Glied seines Ururgroßvaters erzählt, der nicht auf einen Baum gehört hatte. Coyote hatte also in der Tat ein bisschen Angst, ohne die gewünschten drei Eicheln vor der Esche aufzutauchen. Caote wusste jetzt auch, was es mit den Eicheln auf sich hatte. Sie wusste, dass Coyote aus seiner Heimat in dieses Land gekommen war, weil die Menschen ihn, den größten Überlebenskünstler aller Zeiten, nicht mehr beachteten. Darauf hatte eine Esche ihm angeboten, drei Aufgaben zu lösen, wollte er wieder wertgeschätzt werden.

Coyote und Caote erreichten den Wald und kamen zu besagter Esche. „Whow“, rief Caote, „das ist eine mächtige alte Dame!“ Coyote zerrte an ihrem Arm. „Beleidige sie bloß nicht“, rief er. „Danke für das Kompliment“, sagte die Esche. Coyote sah verwundert von der Esche zu dem seltsamen Wesen und wieder zurück und beschloss, nicht verstehen zu müssen, warum jemand gerne alt genannt werden wollte. „Ich habe die Eicheln“, sagte er stattdessen stolz. „Sehr gut“, sagte die Esche. „Und du hast eine Begleiterin gefunden.“ Coyote flüsterte: „Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine Frau ist.“ Die Esche lachte herzlich.

„Nun, mein Lieber“, sagte die Esche, „die erste Aufgabe hast du gelöst. Bist du bereit für die zweite?“ Coyote zuckte lässig mit den Schultern. „Warum nicht?“ Er musste sich eingestehen, dass der Deal mit dem Baum eine sehr verrückte Aktion ganz nach seinem Geschmack war. „Also, hör gut zu“, sagte die Esche. Coyote spitzte die Ohren. „Die zweite Aufgabe lautet: Lass mich den Duft von mindestens 375 Erdenwesen riechen, die niemals den Weg zu mir in den Wald finden werden.“

Coyote sagte lange, lange nichts, was sehr ungewöhnlich war. Schließlich jaulte er auf. „Wie soll das denn gehen? Das funktioniert nie!“ „Lass es uns ausprobieren.“ Caote sprang auf. Frauen! Ja, das war der Beweis! Caote musste eine Frau sein. Nur sie konnten so irrational, so begeisterungsfähig für eine absolut aussichtslose Sache sein. „Du bist auch nicht gerade als Meister vernünftigen Handelns bekannt“, raunte die Esche. Coyote wollte protestieren. Er zweifelte gerne an vielem, aber selten an sich. „Danke für das Kompliment!“, rief Caote. „Die Esche glaubt, dass wir es schaffen!“ In Coyotes Kopf drehte es sich. Bevor ihm etwas zu sagen einfiel, hieß ihn der Baum streng, nun zu gehen.

Coyote trottete davon, Caote hüpfte hinter ihm her. Ihre gute Laune ging ihm manchmal mächtig auf die Nerven. Er schlich dahin, Stunden über Stunden, und dachte über die verflixte zweite Aufgabe nach. Plötzlich hielt er inne. „Ich hab’s! Wir gehen in die große Stadt“, sagte er bestimmt. „Wir suchen bei den Menschen.“

Am nächsten Tag erreichten sie das Zentrum einer riesigen Stadt. Coyote blieb vor einem Gebäude stehen, das mindestens fünfmal so hoch war wie die Esche. Darin, so wusste er, hielten sich die Menschen acht Stunden oder länger auf, bevor sie in ein Auto stiegen, zu einem Haus fuhren, dort übernachteten und am nächsten Morgen wieder mit dem Auto zu diesem Gebäude gelangten. Wenn sie das einmal nicht taten, nannten sie das Wochenende oder Urlaub. Es konnte schon mal vorkommen, dass die Menschen dann zu einem Wald kamen. Aber nicht zu dem der Esche. Denn durch diesen Wald führte kein Premium-Wanderweg und keine E-Bike-Route, es gab dort keinen Klettergarten und kein Waldbaden. In diesem Gebäude würde er die 375 besagten Erdwesen finden. Caote folgte ihm, ohne Fragen zu stellen.

Coyote verwandelte sich schnell in einen Menschen, einen sehr attraktiven jungen Mann in piekfeinem Anzug. Er blickte auf Caote. „Ich komme so mit“, sagte diese fröhlich. In ihrer großen Tasche klirrte es. „Gläser“, erklärte sie. „Zur Geruchsaufbewahrung.“ Die beiden gelangten dank Coyotes adrettem Äußeren ungehindert in das Bürogebäude. „Lass uns gleich hier anfangen“, sagte Coyote und steuerte auf eine Tür zu.

Caote wollte draußen warten und sah sich neugierig um. Eine Frau in einem superschicken Business-Kostüm lief an ihr vorbei. Ein Duft von Blumen wehte hinter ihr her. „Warten Sie“, rief Caote und zog ein Glas aus der Tasche. Die Frau blickte sich um. „Darf ich mir etwas von Ihrem Geruch abfüllen?“, fragte Caote mit ihrer Kopfbedeckung aus allerlei Vogelfedern, einem weiten Rock aus bunten Streifen, einer strahlend weißen Bluse unter einer speckigen Weste und ohne Schuhe an den Füßen. „Gehen Sie, oder ich rufe den Sicherheitsdienst“, sagte die Frau und klapperte auf ihren sehr hohen Schuhen davon.

Da hörte Caote ein lautes Poltern und einen Schrei. Sie riss die Tür auf, hinter der Coyote verschwunden war – und Coyote purzelte über sie. Die Gläser schlugen auf die Marmorplatten und zersplitterten in tausend Stücke. Coyotes Menschengesicht sah ganz und gar nicht mehr attraktiv aus. Der Mann, den Coyote beim Pinkeln auf der Toilette angesprochen hatte, hatte ihm statt einer Geruchsprobe seines Urins einen Schlag ins Gesicht gegeben. Die beiden verhinderten Geruchssammler sahen zwei mürrisch blickende Männer auf sich zukommen. „Wir gehen schon“, rief Caote und rannte mit Coyote aus dem Gebäude.

Die Stadt war laut, schmutzig, groß – viel zu groß für einen Coyoten und ein Wesen unbestimmter Herkunft, das aussah wie ein sehr wildes Hippiemädchen. Hungrig setzten sich die beiden auf den Bürgersteig. Ein Klimpern holte Coyote aus seinen trüben Gedanken. Jemand hatte ihnen Geld vor die Füße geworfen. Caote zwinkerte Coyote zu. Nach einer Weile hatten sie genug. Coyote kaufte sich beim Türken eine Lammkeule, „eine besonders fleischige für einen besonderen Kunden“ wie der Verkäufer bemerkte, und Caote bestellte beim Italiener eine Pizza zum Mitnehmen, „mit allem drauf, was Sie haben“. Der Pizzabäcker wünschte ihnen einen schönen Tag und nannte ihnen einen Park zum Picknicken. Etwas versöhnt mit den Menschen fanden Coyote und Caote eine Wiese und ließen es sich schmecken.

Die Lammkeule war ein Gedicht, und Coyote versuchte nicht daran zu denken, wie er den Geruch von 357 Erdwesen zur Esche bringen sollte. Caote schien sowieso sehr selten zu denken. Sie biss in ein Stück Pizza und strahlte ihn an mit den Augen eines Kindes. „Denken und Nachdenken ist zweierlei“, sagte sie mit der Stimme einer alten weisen Frau. Nicht weit weg von ihnen wälzte sich ein Hund genüsslich im Gras. Ein kleines Mädchen lief zu ihm und tat es ihm gleich. Sie gluckste und kicherte glücklich. „Steh sofort auf!“ Eine Frau war herbeigerannt und zog das Kind auf die Beine. „Du machst dich ja ganz schmutzig!“ Das Mädchen weinte und schrie. Caote beugte sich zum Gras und schnupperte. Dann schaute sie Coyote verschmitzt an. „Riech mal“, sagte sie. Coyote fuhr mit seiner Schnauze über den Boden. „Riecht nach Erde.“ „Genau!“, rief Caote. „Nach mindestens 375 Erdwesen!“ Caote – und Coyote, als er endlich verstand – ließen sich in die Wiese fallen und wälzten sich ausgelassen. Sie kugelten neben-, über- und untereinander, glucksten und kicherten, und alle unnützen Gedanken wirbelten durcheinander und lösten sich auf. Als sie schließlich aufstanden, rochen sie nach mindestens 375 Erdwesen – nach 12 Gänseblümchen, 5 Hunden, 17 Kaninchen, 56 Gundelreben, 85 Regenwürmern, 21 Äpfeln, drei Buchen, fünf Haselnussträuchern, 68 Spinnen, 25 Pilzen, 74 Käfern, 4 Menschen…

Frühlingsbegegnung

Freude trifft Freude

Wenn Krokus und Hummel sich begegnen, berühren sie die Herzen und zaubern ein Lächeln ins Gesicht. Die Blumen strahlen Freude, die Hummeln summen sie – die Freude über die wiederkehrende Wärme. Sie sind beide Kinder der unbeschwerten Natur. Die Krokusse wachsen am liebsten auf ungedüngten Almwiesen, die Hummeln genießen den Nektar des Seins.

Mancher Dichter rühmte den Krokus als Lichtgeschenk des Himmels. Ein Farbengeschenk ist er zudem in seiner leuchtenden Buntheit. Mit den Farben lockt er, von seinen Blüten zu naschen. Die Hummel lässt sich gerne beschenken. Ihr Anblick weckt die Sehnsucht nach der Fülle des Sommers. Doch gerade die Hummel lehrt uns, auf das Wunder des Jetzt zu vertrauen.