Mutig dem Neuen begegnen

Elfen und Feen fühlen sich bei der Lärche heimisch

Die Lärche will frei atmen. Sie wächst am liebsten in luftigen Höhen und strebt zum Licht. Das geht nicht ohne stabile Basis. Tief verwurzelt in der Erde trotzt sie den heftigsten Stürmen, ohne festzuhalten, was loslassen will. Die Lärche ist Symbol für Wagemut und Erneuerung.

Allein durch ihre Daseinsformen sind Bäume als Orte der Ruhe und Kraft zu erkennen. Mich lockte die Lärche. Dabei lädt die schrundige Borke nicht gerade zum Anschmiegen ein. Sie fordert vielmehr den nötigen Respekt. Die Lärche, wie alle Nadelbäume, hütet einen wertvollen Schatz: Ihr Harz ist ein begehrtes Heilmittel. Ihr Holz ist hart und wasserbeständig wie das der Eiche. So bauen die Venezianer auch auf die Stärke der Lärche.

Im Frühling erfreut die Lärche besonders durch die lustig-wilden Pinsel aus den weichen, zartgrünen Nadeln und die purpurroten neuen Zäpfchen. Im Sommer grün, leuchten die Nadeln im herbstlichen Sonnenlicht atemberaubend goldgelb. Anders als andere Nadelbäume wirft die Lärche ihre Blätter ab. Die Zapfen fallen nach vielen Jahren erst mit den Zweigen von den Ästen.

Die Lärche bietet vielen Wesen Lebensraum, Schutz und Nahrung. Vögel, Mäuse und Eichhörnchen machen sich bei ihr ebenso gerne heimisch wie Elfen und Feen. Viele Sagen ranken um Waldfrauen und weibliche Hausgeister, die wohlgesonnenen Menschen zur Seite stehen – Müttern bei schweren Geburten, Familien bei der Pflege der Kinder, Wanderern beim Finden des Weges. Die Elfen und Feen, die an Lärchenplätzen wohnen, helfen den Menschen, solange diese in Einklang mit den Gesetzen der Natur leben und belohnen sie reich.

Das Harz der Lärche wirkt auf körperlicher Ebene durchblutungsfördernd, wundheilend, desinfizierend, schleimlösend und wird zu einer heilsamen Salbe verarbeitet. Ganz einfach ist es, das Harz zum Räuchern zu verwenden. Mit dem Rauch lässt sich Altes verabschieden und Neues begrüßen. Die Räucherungen sind wärmend, entkrampfend, reinigend, stärken die Atmungsorgane und helfen, gestaute Energien wieder zum Fließen zu bringen. Und sie verbinden uns mit den Kräften der Natur, die um uns herum und in uns wirken.

Vielleicht magst du jetzt selbst ausziehen, um die Lärche oder einen anderen Baum zu erforschen, zu erspüren, wahrzunehmen, dich mit ihm auszutauschen. Du kannst damit beginnen, dich an oder neben einen Baum zu setzen und nichts mehr zu denken.

* Wenn du das Lärchenharz sammelst, achte darauf, dass du es nur von verletzten Bäumen nimmst und dass du die Wunde des Baumes dabei nicht aufreißt. Brich vorsichtig etwas von dem Harz ab, das an der Oberfläche schon ausgehärtet ist. Frag den Baum vorher, ob du dir etwas nehmen kannst und bedanke dich danach. Harz ist am besten auf einem Stövchen zu räuchern. So kann sich der feine Duft langsam verbreiten.

Löwenzahn-Kraft

Löwenzahn und Knoblauchrauke

Kinder haben sich eine Natur-Weisheit bewahrt, die wir Erwachsenen uns oft wieder erschließen müssen. Ein bitteres Kraut ist eine ihrer Lieblingsblumen. Spielerisch verbinden sie sich mit der Kraft der Wildpflanze, basteln gelbe Blütenketten, trompeten mit den breiten Stängeln oder bauen mit ihnen Wasserleitungen, verwandeln sich mit Kränzen in Zauberfeen, kleben sich mit dem weißen Milchsaft Gänseblümchen-Schmuck ans Ohr und pusten die silberweißen Samen in die Welt. Kinder sehen das, was ist und machen was daraus.

Den Löwenzahn in den Mund zu nehmen, könnte schon als echte Mutprobe gelten. Furchtbar bitter schmecken Blätter, Stängel, Blüten. Doch auch diese Erfahrung gehört zum Kennen- und Schätzenlernen dazu. Bitter heißt: Geh achtsam mit mir um, ich könnte giftig sein. Der Löwenzahn verlangt, das rechte Maß im Auge zu behalten, denn bitter heißt auch: Ich bin eine starke Medizin. Was uns nicht mehr gut tut, also giftig ist, ist meist eine Frage der Dosis.

Der Löwenzahn will in seiner beeindruckenden Vielfalt wahrgenommen werden. Die strenge Bitterkeit gehört ebenso zu ihm wie die strahlend-gelben Blütensonnen, die robuste Wurzel zeigt seine Qualität wie die zarten Samen. Mit Namen, Aussehen und Geschmack lässt sich schon viel über den Löwenzahn erfahren.

Die US-amerikanische Kräuterkundige Susun Weed hat dem Löwenzahn den Titel Doktor Selbstheilung gegeben. Wildkräuter unterstützen uns dabei, die Verantwortung für unsere Gesundheit in die eigenen Hände zu nehmen. Für die Kontaktaufnahme braucht es nicht viel. Selbst in der Stadt wachsen Löwenzahn und Co. Die einfachste Art des ersten Kennenlernens ist, die Pflanze zu betrachten, zu befühlen und etwas von ihr zu probieren. Es gibt zahlreiche, sehr leckere Rezepte für Speisen mit Wildkräutern. Am einfachsten ist es, sich im Frühling einen frischen Salat zu machen. Es versteht sich von selbst, dass ihr nur die Pflanzen sammelt, die ihr eindeutig bestimmen könnt und dass ihr nur soviel nehmt, wie ihr essen wollt. Es muss nicht viel sein, um sich mit der Pflanze und ihren Kräften anzufreunden.

Nicht selten kommt es vor, dass mir eine bestimmte Pflanze bei meinen Frühlingsspaziergängen immer wieder begegnet. Ich nehme es als Zeichen dafür, dass sie für mich im Moment von besonderer Bedeutung ist. Die Heilkraft der Wildpflanzen hat viele Facetten und Erscheinungsformen, und Doktor(in) Selbstheilung sind sie auf ihre Art alle.

Den Frühling berühren

Ich bin.

Die Eichhörnchen jagen sich im Hinterhof ausgelassen einen Baum hoch und hinunter. Eine Amsel singt dazu ihr Morgenlied. Zwei Krähen schauen von einem alten Antennenmast auf die Welt, und der Himmel beginnt sich im Glanz der Sonne in sein unvergleichliches Blau zu färben. Die bewegten Bilder des Neubeginns lösen die Erstarrung.

Wildkräuter wachsen und warten darauf, uns zu stärken und zu nähren. Das lichte Grün der jungen Buchenblätter tauscht sich aus mit meinem Herzen. Vorsichtig streiche ich über den zarten Flaum eines Blattes. Ich berühre den Frühling, und der Frühling berührt mich.

Widerstand ist zwecklos

Die gelbe Blüte der Kornelkirsche zeigt sich schon im Februar

Der Sturm pfeift, heult, wütet, braust,

tobt, verwirbelt, zerstört,

reinigt.

Unbeeindruckt.

Rück-sichts-los.

Widerstand ist zwecklos.

Ein riesiger Baukran verharrt und kippt um.

Die kleine Blüte der Kornelkirsche geht mit und hält stand.

Das Neue ist schon da

Die Kätzchen der Birke überwintern

Sie zeigen sich schon im Hochsommer, doch erst jetzt im Herbst, wenn die Tage kürzer und kälter werden, bemerke ich sie, weil sie so gar nicht in die Jahreszeit zu passen scheinen: die frischen Kätzchen von Haselstrauch und Birke. Zahlreich hängen sie an den Zweigen zwischen sich verfärbenden und abfallenden Blättern. Genauso wie die weiblichen Blüten in den Knospen scheren sie sich nicht um den nahenden Frost und haben sich entschieden, im Freien zu überwintern.

Die Knospen aller Bäume wachsen spätestens im August. Für mich sind sie ein zutiefst berührendes Symbol. Was auch geschehen mag, das, was ist, gebiert das, was sein soll, lange bevor es wachsen kann. Der Kreislauf des Lebens hat gerade dann, wenn sich die Natur zurückzieht, die Chance und die Gewissheit, sich weiterzudrehen.

Die Knospe enthält den gesamten Zweig mit Blättern und Blüten, der sich im nächsten Jahr entfalten will. Das zarte Neue braucht Schutz. Damit die Knospe nicht erfriert, zieht der Baum die Flüssigkeit aus ihr ab und lagert eine Zuckerlösung ein. Dann ruht die Knospe für viele Monate, um sich schließlich in der Frühlingssonne zu öffnen.

Die weise Feuerkraft des Salbeis

Im August geerntet, sind die Blätter am heilkräftigsten

Wäre der Salbei ein Mensch, er wäre eine starke Frau, sagt die eine Kräuterkundige. Wäre der Salbei ein Mensch, er wäre ein alter Magier in blauviolettem Mantel mit silbergrauem Haar, meint die andere. Beides und nichts mag der Wahrheit entsprechen. Die Bilder, die wir uns schaffen, mögen immer nur Ausschnitte erfassen von dieser großen Schamaninnenpflanze, deren Sein über menschliche Zuordnungen hinausgeht. Was wir beschreiben können, ist ihre Heilkraft, zumindest einen großen Teil davon. Es gibt kaum Alltagsbeschwerden, die wir nicht mit Salbei behandeln können.

Als Tee aus frischen oder getrockneten Blättern hilft er bei Entzündungen jeder Art, bei Erkältungen, Halsschmerzen, bei Kreislaufschwäche, bei nächtlichem Schweißausbruch, und er ist allgemein kräftigend. Frauen ist er ein unterstützender Begleiter vom Beginn der Menstruation über den (unerfüllten) Kinderwunsch bis in die Wechseljahre. Er stärkt das Gehirn, erhöht die Konzentration beim Lernen oder bei Prüfungen und wirkt gegen Gedächtnisverlust.

Geräuchert und im Pflanzenwasser reinigt der Salbei Menschen und Räume. Er steht zur Seite, um  bei inneren Prozessen, Übergängen und Zeiten des Wandels bei sich bleiben zu können.

Die Vielseitigkeit mancher Heilpflanze lässt uns einerseits staunen und andererseits oft überfordert fragen, ob sie im konkreten Fall wirklich die Richtige ist. Da kann es von Vorteil sein, die Bücher beiseite zu legen und an den Blättern des Salbeis zu riechen, mit den Fingern über die behaarte Oberfläche zu streichen und sich einfach einen Tee zu brauen.

Noch ein Weg kann sein, sich den Grundcharakter einer Pflanze bewusst zu machen. Der Salbei ist ein Kind des heißen Südens. Aus dem östlichen Mittelmeerraum gelangte er im Mittelalter in unsere Gärten. Er besitzt die Kraft des Feuers, die jetzt im August am stärksten ist. „Weise“, „sage“, ist der englische Name des Salbeis. Ein weises Erdenwesen ist er allemal. Und wirklich weise ist, wer mit den Lebenskräften angemessen umzugehen lernt. Die Feuerkraft kann wärmen und verbrennen, inspirieren und transformieren, die Liebe ebenso nähren wie die Wut.

Der Salbei lehrt uns, genau zu schauen, welches Maß an Feuer wir entsprechend unserer Aufgabe und unseres Alters nutzen können und sollen. Die Warnung gegen Maßlosigkeit liefert er gleich mit: Das in ihm enthaltene Nervengift Thujon kann bei Überdosierung zu Herzrasen, Krämpfen und Lähmungserscheinungen führen.

Wäre der Salbei ein Mensch, dann wäre er ein Magier und eine weise Frau, deren Leitspruch lautet: Erkenne dich selbst, finde das Maß, tu was du willst und schade niemandem.

Die oben zitierten Kräuterkundigen sind Susanne Fischer-Rizzi und Ursula Gerhold. Die Weisheit des Salbeis, das Feuer im rechten Maß zu nutzen, gab mir Ursula Gerhold weiter.

Standhalten und mitgehen

Ich denke nicht, ich sehe

Standhalten oder mitgehen, loslassen oder festhalten, sich wehren oder sich hingeben: Die satten Wiesen, durch die der Wind bläst, kennen kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch. Die Grashalme und Wildblumen biegen sich in einem gemeinsamen Tanz, sie fließen dahin, überlassen sich dem Sturm und bleiben doch fest verwurzelt stehen in den steilen Berghängen.

Der Widerspruch zwischen standhalten und mitgehen löst sich auf. In dem Bewegen und gleichzeitigem Stehenbleiben ist es, als ob die Wiesen Energie im Hier und Jetzt aufnehmen, ihren Teil behalten und das Meiste einfach weitergeben. Es ist, als ob sich ein Strom ergießt über die Kuppen der Hügel und hinauffließt in die oberhalb thronende geheimnisvolle Bergwand.

Die Bergwand betrachte ich lange und immer wieder – ohne Ziel, ohne Grund, ohne Absicht. Sie zieht mich in ihren Bann in ihrer Unerschütterlichkeit und Mächtigkeit, in ihrer Stille und Unergründlichkeit. Ich denke nicht, ich schaue. Mein Kopf darf leer werden, was mir Angst machen kann und im Moment einfach nur befreiend ist. Ich sehe. Die ruhigen Berge, die wogenden Wiesen, die rauschenden Bäume, den Bach im Tal und das Hausrotschwanz-Pärchen über mir, das seine Jungen füttert. Und wenn ich mich zur gegebenen Zeit bewegen werde, dann will ich dabei gut verwurzelt sein.

Bergwiese

Im Blüten-Sternenkleid

Frau Holle im Holunder trägt ihr leuchtend-weißes Sternenkleid. Verwandlung ist ihre Kunst, die Liebe ihre Leidenschaft. Der Strauch und die in ihm wohnende Göttin geben ihre Heilkraft dem und derjenigen, der und die bereit ist, aus der Klarheit des Herzens heraus bedingungslos zu handeln. Wie Goldmarie im Märchen.

Frau Holle und ihr Hollerbusch dienen dem Leben ganz und gar, ohne wenn und aber, sie verbinden schwarz und weiß, das Werden mit dem Vergehen, sie kennen keine Gegensätze, sondern nur Ergänzungen wie männlich und weiblich. Die zarten, in den Himmel weisenden Blüten des Frühlings gehören zu ihnen wie die satten, sich zur Erde beugenden schwarzen Beeren des Herbstes. Alles hat Platz, wenn es aus dem Herzen kommt.

Wildpflanzen lassen uns in symbolträchtigen Bildern schwelgen, die auf ihre Heilkunst hinweisen. Sie wirken nie nur auf der körperlichen Ebene, sie sind Nahrung und Medizin auch für Geist und Seele.

Um den Geschmack von Holunderblüten kennen zu lernen, kannst du einfach eine Blütendolde zusammen mit einer Scheibe Zitrone in einen Krug mit Trinkwasser geben, kurz ziehen lassen und das abgeseihte Wasser trinken. Oder du pflügst ein paar Blüten und zerkaust sie langsam.

Aus den Blüten lassen sich außer starker Medizin allerlei Leckereien machen: Holundersirup, Marmelade, Holundermilch, Küchle, Limonade, Sekt. Bevor du die Blüten pflügst, überlege, was du damit machen willst. Denn auch die Beeren, die an den nichtgepflückten Dolden wachsen, sind für uns Menschen – und für zahlreiche Vogelarten – wahre Kraftpakete.

Coyote in einer ver-rückten Welt, Teil 2

Coyote war ausnahmsweise sehr zufrieden mit der Welt. Die Sonne schien seit Tagen warm vom Himmel. Er hatte die drei Eicheln, die drei Mal drei Mondinnen kein Licht gesehen hatten mit Hilfe eines Eichhörnchens gefunden. Und an seiner Seite ging eine ganz brauchbare Helferin – dieses seltsame Wesen, weder Kind noch Frau noch Mann und doch alles zusammen, das ihm irgendwie zugelaufen war. Er kannte mittlerweile seinen Namen: Caote – „mit C“, wie es, er, sie augenzwinkernd ergänzte. Coyote hatte die Stirn gerunzelt. Coyote, Caote. Er knurrte leicht, sagte aber nichts. Immerhin konnte er es, er, sie nun ansprechen. „Sag ,sie‘. Ist einfacher“, ergänzte Caote.

„Pass auf, Caote!“, rief Coyote, „die Eicheln fallen dir noch aus der Tasche!“ Caote hatte wieder einmal ein Rad gedreht und war aus dem Stand über Kopf gesprungen. Sie lachte nur und rief übermütig: „Die Esche wird die Eicheln schon bekommen. Keine Angst, du wirst dein Glied behalten.“ Sie hatten an einem Abend am Feuer gesessen, und Lagerfeuer machten Coyote immer sehr sentimental und sehr gesprächig. Da hatte er Caote von dem verlorenen Glied seines Ururgroßvaters erzählt, der nicht auf einen Baum gehört hatte. Coyote hatte also in der Tat ein bisschen Angst, ohne die gewünschten drei Eicheln vor der Esche aufzutauchen. Caote wusste jetzt auch, was es mit den Eicheln auf sich hatte. Sie wusste, dass Coyote aus seiner Heimat in dieses Land gekommen war, weil die Menschen ihn, den größten Überlebenskünstler aller Zeiten, nicht mehr beachteten. Darauf hatte eine Esche ihm angeboten, drei Aufgaben zu lösen, wollte er wieder wertgeschätzt werden.

Coyote und Caote erreichten den Wald und kamen zu besagter Esche. „Whow“, rief Caote, „das ist eine mächtige alte Dame!“ Coyote zerrte an ihrem Arm. „Beleidige sie bloß nicht“, rief er. „Danke für das Kompliment“, sagte die Esche. Coyote sah verwundert von der Esche zu dem seltsamen Wesen und wieder zurück und beschloss, nicht verstehen zu müssen, warum jemand gerne alt genannt werden wollte. „Ich habe die Eicheln“, sagte er stattdessen stolz. „Sehr gut“, sagte die Esche. „Und du hast eine Begleiterin gefunden.“ Coyote flüsterte: „Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine Frau ist.“ Die Esche lachte herzlich.

„Nun, mein Lieber“, sagte die Esche, „die erste Aufgabe hast du gelöst. Bist du bereit für die zweite?“ Coyote zuckte lässig mit den Schultern. „Warum nicht?“ Er musste sich eingestehen, dass der Deal mit dem Baum eine sehr verrückte Aktion ganz nach seinem Geschmack war. „Also, hör gut zu“, sagte die Esche. Coyote spitzte die Ohren. „Die zweite Aufgabe lautet: Lass mich den Duft von mindestens 375 Erdenwesen riechen, die niemals den Weg zu mir in den Wald finden werden.“

Coyote sagte lange, lange nichts, was sehr ungewöhnlich war. Schließlich jaulte er auf. „Wie soll das denn gehen? Das funktioniert nie!“ „Lass es uns ausprobieren.“ Caote sprang auf. Frauen! Ja, das war der Beweis! Caote musste eine Frau sein. Nur sie konnten so irrational, so begeisterungsfähig für eine absolut aussichtslose Sache sein. „Du bist auch nicht gerade als Meister vernünftigen Handelns bekannt“, raunte die Esche. Coyote wollte protestieren. Er zweifelte gerne an vielem, aber selten an sich. „Danke für das Kompliment!“, rief Caote. „Die Esche glaubt, dass wir es schaffen!“ In Coyotes Kopf drehte es sich. Bevor ihm etwas zu sagen einfiel, hieß ihn der Baum streng, nun zu gehen.

Coyote trottete davon, Caote hüpfte hinter ihm her. Ihre gute Laune ging ihm manchmal mächtig auf die Nerven. Er schlich dahin, Stunden über Stunden, und dachte über die verflixte zweite Aufgabe nach. Plötzlich hielt er inne. „Ich hab’s! Wir gehen in die große Stadt“, sagte er bestimmt. „Wir suchen bei den Menschen.“

Am nächsten Tag erreichten sie das Zentrum einer riesigen Stadt. Coyote blieb vor einem Gebäude stehen, das mindestens fünfmal so hoch war wie die Esche. Darin, so wusste er, hielten sich die Menschen acht Stunden oder länger auf, bevor sie in ein Auto stiegen, zu einem Haus fuhren, dort übernachteten und am nächsten Morgen wieder mit dem Auto zu diesem Gebäude gelangten. Wenn sie das einmal nicht taten, nannten sie das Wochenende oder Urlaub. Es konnte schon mal vorkommen, dass die Menschen dann zu einem Wald kamen. Aber nicht zu dem der Esche. Denn durch diesen Wald führte kein Premium-Wanderweg und keine E-Bike-Route, es gab dort keinen Klettergarten und kein Waldbaden. In diesem Gebäude würde er die 375 besagten Erdwesen finden. Caote folgte ihm, ohne Fragen zu stellen.

Coyote verwandelte sich schnell in einen Menschen, einen sehr attraktiven jungen Mann in piekfeinem Anzug. Er blickte auf Caote. „Ich komme so mit“, sagte diese fröhlich. In ihrer großen Tasche klirrte es. „Gläser“, erklärte sie. „Zur Geruchsaufbewahrung.“ Die beiden gelangten dank Coyotes adrettem Äußeren ungehindert in das Bürogebäude. „Lass uns gleich hier anfangen“, sagte Coyote und steuerte auf eine Tür zu.

Caote wollte draußen warten und sah sich neugierig um. Eine Frau in einem superschicken Business-Kostüm lief an ihr vorbei. Ein Duft von Blumen wehte hinter ihr her. „Warten Sie“, rief Caote und zog ein Glas aus der Tasche. Die Frau blickte sich um. „Darf ich mir etwas von Ihrem Geruch abfüllen?“, fragte Caote mit ihrer Kopfbedeckung aus allerlei Vogelfedern, einem weiten Rock aus bunten Streifen, einer strahlend weißen Bluse unter einer speckigen Weste und ohne Schuhe an den Füßen. „Gehen Sie, oder ich rufe den Sicherheitsdienst“, sagte die Frau und klapperte auf ihren sehr hohen Schuhen davon.

Da hörte Caote ein lautes Poltern und einen Schrei. Sie riss die Tür auf, hinter der Coyote verschwunden war – und Coyote purzelte über sie. Die Gläser schlugen auf die Marmorplatten und zersplitterten in tausend Stücke. Coyotes Menschengesicht sah ganz und gar nicht mehr attraktiv aus. Der Mann, den Coyote beim Pinkeln auf der Toilette angesprochen hatte, hatte ihm statt einer Geruchsprobe seines Urins einen Schlag ins Gesicht gegeben. Die beiden verhinderten Geruchssammler sahen zwei mürrisch blickende Männer auf sich zukommen. „Wir gehen schon“, rief Caote und rannte mit Coyote aus dem Gebäude.

Die Stadt war laut, schmutzig, groß – viel zu groß für einen Coyoten und ein Wesen unbestimmter Herkunft, das aussah wie ein sehr wildes Hippiemädchen. Hungrig setzten sich die beiden auf den Bürgersteig. Ein Klimpern holte Coyote aus seinen trüben Gedanken. Jemand hatte ihnen Geld vor die Füße geworfen. Caote zwinkerte Coyote zu. Nach einer Weile hatten sie genug. Coyote kaufte sich beim Türken eine Lammkeule, „eine besonders fleischige für einen besonderen Kunden“ wie der Verkäufer bemerkte, und Caote bestellte beim Italiener eine Pizza zum Mitnehmen, „mit allem drauf, was Sie haben“. Der Pizzabäcker wünschte ihnen einen schönen Tag und nannte ihnen einen Park zum Picknicken. Etwas versöhnt mit den Menschen fanden Coyote und Caote eine Wiese und ließen es sich schmecken.

Die Lammkeule war ein Gedicht, und Coyote versuchte nicht daran zu denken, wie er den Geruch von 357 Erdwesen zur Esche bringen sollte. Caote schien sowieso sehr selten zu denken. Sie biss in ein Stück Pizza und strahlte ihn an mit den Augen eines Kindes. „Denken und Nachdenken ist zweierlei“, sagte sie mit der Stimme einer alten weisen Frau. Nicht weit weg von ihnen wälzte sich ein Hund genüsslich im Gras. Ein kleines Mädchen lief zu ihm und tat es ihm gleich. Sie gluckste und kicherte glücklich. „Steh sofort auf!“ Eine Frau war herbeigerannt und zog das Kind auf die Beine. „Du machst dich ja ganz schmutzig!“ Das Mädchen weinte und schrie. Caote beugte sich zum Gras und schnupperte. Dann schaute sie Coyote verschmitzt an. „Riech mal“, sagte sie. Coyote fuhr mit seiner Schnauze über den Boden. „Riecht nach Erde.“ „Genau!“, rief Caote. „Nach mindestens 375 Erdwesen!“ Caote – und Coyote, als er endlich verstand – ließen sich in die Wiese fallen und wälzten sich ausgelassen. Sie kugelten neben-, über- und untereinander, glucksten und kicherten, und alle unnützen Gedanken wirbelten durcheinander und lösten sich auf. Als sie schließlich aufstanden, rochen sie nach mindestens 375 Erdwesen – nach 12 Gänseblümchen, 5 Hunden, 17 Kaninchen, 56 Gundelreben, 85 Regenwürmern, 21 Äpfeln, drei Buchen, fünf Haselnussträuchern, 68 Spinnen, 25 Pilzen, 74 Käfern, 4 Menschen…

Pflanze der Kriegerin


Die zarten Blätter schmecken im Frühlings-Wildkräuter-Salat

Die Augenbraue der Venus ist eine atemberaubend vielfältige Heilpflanze. In diesen Tagen zeigt sie sich mit ihren jungen, fein gefiederten Blättchen von ihrer zartesten Seite. Die Schafgarbe, wie sie auch genannt wird, ist eine Kriegerinnen-Pflanze. Ihre Kämpfe kennen keine Feinde. In ihrer Welt gibt es kein Entweder-Oder. Sie ist standhaft und zäh genauso wie weich und liebevoll.

Pflanzen haben keine bösen oder guten Absichten, sie kommunizieren anders, sind mit den Maßstäben unseres derzeitigen Menschseins kaum zu erfassen. Deshalb ist es von Nutzen, sie genau wahrzunehmen. Denn sie können uns in ihrer (Vor-)Urteilslosigkeit, ihrem Verwurzeltsein in der Materie und ihren Verbindungen zur feinstofflichen Welt dabei helfen, uns aus dem Strudel aus Misstrauen, Getrenntsein und Gewalt herauszuziehen.

Die Schafgarbe ist für mich eine starke Helferin. Sie ist eine der ältesten Heilpflanzen der Menschen, die Wissenschaft hat mittlerweile über 100 heilwirksame Substanzen in ihr gefunden – eine beeindruckende Zahl, doch die ist lediglich dazu geeignet, unseren aufklärerischen Verstand zu beruhigen. Denn was zählt, ist die Pflanze in ihrer ausgefeilten, einmaligen Gesamtkomposition, worauf zum Beispiel die Kräuterfrauen Ursula Stumpf und Ursula Gerhold hinweisen.

Am Anfang des Kennenlernens steht die Kommunikation mit der Pflanze, bestenfalls über den Jahreszyklus hindurch. Die Schafgarbe ist immer präsent – im Frühjahr mit ihren jungen Blättern, die den Boden berühren, bis in den Winter mit ihren hochragenden trockenen Stängeln. Nehmt die Pflanze mit allen euren Sinnen wahr, streicht über die zarten jungen Blätter, der sie ihren schönsten Namen – Augenbraue der Venus – verdankt, seht sie in ihren aufrechten, kantigen, schwer zu brechenden Stängeln emporwachsen, staunt im Sommer über die Vielfalt ihrer Blütenblättchen, die sich zu einer Dolde vereinen und riecht den herb-süßen Duft. Dann wisst ihr schon jede Menge über dieses Heilkraut.

Benutzt auch den siebten Sinn, setzt euch zu der Pflanze, schließt die Augen, spürt euren Körper und die Verbindung zur Erde, dann nehmt über euer Herz Kontakt mit der Pflanze auf und bittet sie, mit euch zu reden. Dabei können Worte auftauchen, Bilder, Farben. Lasst sein, was sein will. Die Schafgarbe wurde früher in Tempeln aufbewahrt, und die Chinesen werfen das I Ging mit ihren Stängeln. Sie hilft beim Orakeln und Träumen genauso wie beim Grenzen ziehen und den eigenen Raum definieren.

Die Schafgrabe tut das, was Heilerinnen gemeinhin tun: Sie gleicht aus, bringt uns zurück in unsere Mitte und unterstützt uns, im (Lebens-)Fluss zu sein. Für mich ist sie eine Pflanze der Kriegerin und des weiblichen Kriegers, in deren Kämpfen die Regeln des Universums gelten. Sie verbindet Zähigkeit mit Zartheit, Stärke entsteht aus der Vielfalt, das Ziel ist die Wiederherstellung des Gleichgewichts. Und sie lässt kein Blut fließen, sondern stillt es selbst bei groben Verletzungen.

Es gibt viele starke Pflanzenhelferinnen und -helfer. Die Pflanze, die die eine begeistert, muss nicht die Zauberpflanze des anderen sein. Am besten ist es, die eigenen Verbündeten zu finden.

Wer mehr über die Schafgarbe und andere Pflanzen wissen will, dem empfehle ich meine Lieblingsbücher über Heil- und Wildpflanzen:

Susanne Fischer-Rizzi, Medizin der Erde
Anne McIntyre, Das große Buch der heilenden Pflanzen
Luisa Francia, Weidenfrau und Wiesenkönigin
Ursula Stumpf, Kräuter. Gefährten am Wegesrand
Wolf-Dieter Storl, Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor
Steffen Guido Fleischhauer u.a., Essbare Wildpflanzen
D. Aichele, M. Golte-Bechtle, Was blüht denn da?