Coyote war ausnahmsweise sehr zufrieden mit der Welt. Die Sonne schien seit Tagen warm vom Himmel. Er hatte die drei Eicheln, die drei Mal drei Mondinnen kein Licht gesehen hatten mit Hilfe eines Eichhörnchens gefunden. Und an seiner Seite ging eine ganz brauchbare Helferin – dieses seltsame Wesen, weder Kind noch Frau noch Mann und doch alles zusammen, das ihm irgendwie zugelaufen war. Er kannte mittlerweile seinen Namen: Caote – „mit C“, wie es, er, sie augenzwinkernd ergänzte. Coyote hatte die Stirn gerunzelt. Coyote, Caote. Er knurrte leicht, sagte aber nichts. Immerhin konnte er es, er, sie nun ansprechen. „Sag ,sie‘. Ist einfacher“, ergänzte Caote.
„Pass
auf, Caote!“, rief Coyote, „die Eicheln fallen dir noch aus der
Tasche!“ Caote hatte wieder einmal ein Rad gedreht und war aus dem
Stand über Kopf gesprungen. Sie lachte nur und rief übermütig:
„Die Esche wird die Eicheln schon bekommen. Keine Angst, du wirst
dein Glied behalten.“ Sie hatten an einem Abend am Feuer gesessen,
und Lagerfeuer machten Coyote immer sehr sentimental und sehr
gesprächig. Da hatte er Caote von dem verlorenen Glied seines
Ururgroßvaters erzählt, der nicht auf einen Baum gehört hatte.
Coyote hatte also in der Tat ein bisschen Angst, ohne die gewünschten
drei Eicheln vor der Esche aufzutauchen. Caote wusste jetzt auch, was
es mit den Eicheln auf sich hatte. Sie wusste, dass Coyote aus seiner
Heimat in dieses Land gekommen war, weil die Menschen ihn, den
größten Überlebenskünstler aller Zeiten, nicht mehr beachteten.
Darauf hatte eine Esche ihm angeboten, drei Aufgaben zu lösen,
wollte er wieder wertgeschätzt werden.
Coyote
und Caote erreichten den Wald und kamen zu besagter Esche. „Whow“,
rief Caote, „das ist eine mächtige alte Dame!“ Coyote zerrte an
ihrem Arm. „Beleidige sie bloß nicht“, rief er. „Danke für
das Kompliment“, sagte die Esche. Coyote sah verwundert von der
Esche zu dem seltsamen Wesen und wieder zurück und beschloss, nicht
verstehen zu müssen, warum jemand gerne alt genannt werden wollte.
„Ich habe die Eicheln“, sagte er stattdessen stolz. „Sehr gut“,
sagte die Esche. „Und du hast eine Begleiterin gefunden.“ Coyote
flüsterte: „Ich bin mir nicht sicher, ob sie eine Frau ist.“ Die
Esche lachte herzlich.
„Nun, mein Lieber“, sagte die Esche, „die erste Aufgabe hast du gelöst. Bist du bereit für die zweite?“ Coyote zuckte lässig mit den Schultern. „Warum nicht?“ Er musste sich eingestehen, dass der Deal mit dem Baum eine sehr verrückte Aktion ganz nach seinem Geschmack war. „Also, hör gut zu“, sagte die Esche. Coyote spitzte die Ohren. „Die zweite Aufgabe lautet: Lass mich den Duft von mindestens 375 Erdenwesen riechen, die niemals den Weg zu mir in den Wald finden werden.“
Coyote
sagte lange, lange nichts, was sehr ungewöhnlich war. Schließlich
jaulte er auf. „Wie soll das denn gehen? Das funktioniert nie!“
„Lass es uns ausprobieren.“ Caote sprang auf. Frauen! Ja, das war
der Beweis! Caote musste eine Frau sein. Nur sie konnten so
irrational, so begeisterungsfähig für eine absolut aussichtslose
Sache sein. „Du bist auch nicht gerade als Meister vernünftigen
Handelns bekannt“, raunte die Esche. Coyote wollte protestieren. Er
zweifelte gerne an vielem, aber selten an sich. „Danke für das
Kompliment!“, rief Caote. „Die Esche glaubt, dass wir es
schaffen!“ In Coyotes Kopf drehte es sich. Bevor ihm etwas zu sagen
einfiel, hieß ihn der Baum streng, nun zu gehen.
Coyote
trottete davon, Caote hüpfte hinter ihm her. Ihre gute Laune ging
ihm manchmal mächtig auf die Nerven. Er schlich dahin, Stunden über
Stunden, und dachte über die verflixte zweite Aufgabe nach.
Plötzlich hielt er inne. „Ich hab’s! Wir gehen in die große
Stadt“, sagte er bestimmt. „Wir suchen bei den Menschen.“
Am
nächsten Tag erreichten sie das Zentrum einer riesigen Stadt. Coyote
blieb vor einem Gebäude stehen, das mindestens fünfmal so hoch war
wie die Esche. Darin, so wusste er, hielten sich die Menschen acht
Stunden oder länger auf, bevor sie in ein Auto stiegen, zu einem
Haus fuhren, dort übernachteten und am nächsten Morgen wieder mit
dem Auto zu diesem Gebäude gelangten. Wenn sie das einmal nicht
taten, nannten sie das Wochenende oder Urlaub. Es konnte schon mal
vorkommen, dass die Menschen dann zu einem Wald kamen. Aber nicht zu
dem der Esche. Denn durch diesen Wald führte kein Premium-Wanderweg
und keine E-Bike-Route, es gab dort keinen Klettergarten und kein
Waldbaden. In diesem Gebäude würde er die 375 besagten Erdwesen
finden. Caote folgte ihm, ohne Fragen zu stellen.
Coyote
verwandelte sich schnell in einen Menschen, einen sehr attraktiven
jungen Mann in piekfeinem Anzug. Er blickte auf Caote. „Ich komme
so mit“, sagte diese fröhlich. In ihrer großen Tasche klirrte es.
„Gläser“, erklärte sie. „Zur Geruchsaufbewahrung.“ Die
beiden gelangten dank Coyotes adrettem Äußeren ungehindert in das
Bürogebäude. „Lass uns gleich hier anfangen“, sagte Coyote und
steuerte auf eine Tür zu.
Caote
wollte draußen warten und sah sich neugierig um. Eine Frau in einem
superschicken Business-Kostüm lief an ihr vorbei. Ein Duft von
Blumen wehte hinter ihr her. „Warten Sie“, rief Caote und zog ein
Glas aus der Tasche. Die Frau blickte sich um. „Darf ich mir etwas
von Ihrem Geruch abfüllen?“, fragte Caote mit ihrer
Kopfbedeckung aus allerlei Vogelfedern, einem weiten Rock aus bunten
Streifen, einer strahlend weißen Bluse unter einer speckigen Weste
und ohne Schuhe an den Füßen. „Gehen Sie, oder ich rufe den
Sicherheitsdienst“, sagte die Frau und klapperte auf ihren sehr
hohen Schuhen davon.
Da hörte Caote ein lautes Poltern
und einen Schrei. Sie riss die Tür auf, hinter der Coyote
verschwunden war – und Coyote purzelte über sie. Die Gläser
schlugen auf die Marmorplatten und zersplitterten in tausend Stücke.
Coyotes Menschengesicht sah ganz und gar nicht mehr attraktiv aus.
Der Mann, den Coyote beim Pinkeln auf der Toilette angesprochen
hatte, hatte ihm statt einer Geruchsprobe seines Urins einen Schlag
ins Gesicht gegeben. Die beiden verhinderten Geruchssammler sahen
zwei mürrisch blickende Männer auf sich zukommen. „Wir gehen
schon“, rief Caote und rannte mit Coyote aus dem Gebäude.
Die Stadt war laut, schmutzig, groß
– viel zu groß für einen Coyoten und ein Wesen unbestimmter
Herkunft, das aussah wie ein sehr wildes Hippiemädchen. Hungrig
setzten sich die beiden auf den Bürgersteig. Ein Klimpern holte
Coyote aus seinen trüben Gedanken. Jemand hatte ihnen Geld vor die
Füße geworfen. Caote zwinkerte Coyote zu. Nach einer Weile hatten
sie genug. Coyote kaufte sich beim Türken eine Lammkeule, „eine
besonders fleischige für einen besonderen Kunden“ wie der
Verkäufer bemerkte, und Caote bestellte beim Italiener eine Pizza
zum Mitnehmen, „mit allem drauf, was Sie haben“. Der Pizzabäcker
wünschte ihnen einen schönen Tag und nannte ihnen einen Park zum
Picknicken. Etwas versöhnt mit den Menschen fanden Coyote und Caote
eine Wiese und ließen es sich schmecken.
Die Lammkeule war ein Gedicht, und Coyote versuchte nicht daran zu denken, wie er den Geruch von 357 Erdwesen zur Esche bringen sollte. Caote schien sowieso sehr selten zu denken. Sie biss in ein Stück Pizza und strahlte ihn an mit den Augen eines Kindes. „Denken und Nachdenken ist zweierlei“, sagte sie mit der Stimme einer alten weisen Frau. Nicht weit weg von ihnen wälzte sich ein Hund genüsslich im Gras. Ein kleines Mädchen lief zu ihm und tat es ihm gleich. Sie gluckste und kicherte glücklich. „Steh sofort auf!“ Eine Frau war herbeigerannt und zog das Kind auf die Beine. „Du machst dich ja ganz schmutzig!“ Das Mädchen weinte und schrie. Caote beugte sich zum Gras und schnupperte. Dann schaute sie Coyote verschmitzt an. „Riech mal“, sagte sie. Coyote fuhr mit seiner Schnauze über den Boden. „Riecht nach Erde.“ „Genau!“, rief Caote. „Nach mindestens 375 Erdwesen!“ Caote – und Coyote, als er endlich verstand – ließen sich in die Wiese fallen und wälzten sich ausgelassen. Sie kugelten neben-, über- und untereinander, glucksten und kicherten, und alle unnützen Gedanken wirbelten durcheinander und lösten sich auf. Als sie schließlich aufstanden, rochen sie nach mindestens 375 Erdwesen – nach 12 Gänseblümchen, 5 Hunden, 17 Kaninchen, 56 Gundelreben, 85 Regenwürmern, 21 Äpfeln, drei Buchen, fünf Haselnussträuchern, 68 Spinnen, 25 Pilzen, 74 Käfern, 4 Menschen…